Fuß fassen können, wenn es nach dem Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) wieder in Freiheit geht: Mit einem Hauptschulabschluss, den nun zehn Häftlinge in der JVA nachgeholt haben, könnte dies möglich werden. Die jungen Männer haben fünf Monate lang freiwillig noch einmal die Schulbank gedrückt.
Ob Mathematik, Sozialkunde oder Deutsch: Von Viertel vor acht bis vier Uhr nachmittags mussten die Schüler volle Konzentration zeigen. 'Sie haben Sitzfleisch und Durchhaltevermögen gebraucht', sagte JVA-Leiter Gisbert Rehmet bei der Vergabe der Zeugnisse. Anstaltslehrer Ingo Straßer hofft, dass die Absolventen nach ihrer Zeit im Gefängnis Anschluss finden werden. Gefördert wurde die Maßnahme von der Agentur für Arbeit. Geleitet hat sie die Deutsche Angestellten-Akademie (DAA).
Dass die Zeit bis zum Abschluss nicht leicht und oft 'sehr zäh' war, erzählt Häftling Björn (27) bei der Zeugnisübergabe. Es sei schwierig gewesen, wieder ins Lernen hinein zu kommen. 'Damals musste ich die fünfte Klasse dreimal wiederholen. Das war mir einfach zu viel und ich habe die Schule dann abgebrochen', sagt Björn.
Schon in der Pubertät habe er Mengen an Alkohol konsumiert und hatte Probleme zu Hause. Schlägereien, Diebstähle und Delikte wegen Körperverletzung führten zu mehreren Bewährungsstrafen. Weil er schließlich beim Autofahren ohne Führerschein erwischt wurde, musste er Ende 2011 ins Gefängnis. Seine Bewährungsstrafe wurde widerrufen.
In der Gefangenschaft hat sich Björn endgültig dazu entschlossen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. 'Teilweise war es schwierig sich aufzuraffen und am Nachmittag hart zu lernen', meint der 27-Jährige. Da er früher kaum zur Schule gegangen sei, habe er sich in Mathe nicht leicht mit den Gleichungen getan. Aber 'Deutsch hat mir aber Spaß gemacht. Ich habe Wörter gelernt, die ich davor noch gar nicht kannte.
' Wenn es voraussichtlich für Björn im Dezember in die Freiheit geht, will er als Lagerist oder Staplerfahrer arbeiten. Die Qualifikationen hat er zum Teil in der JVA gelernt. Und beworben hat er sich schon. 'Denn wenn man etwas erreichen will', sagt er jetzt, 'dann schafft man das auch.'
Den Willen zur Veränderung hat mittlerweile auch Häftling Marco. Früher war er ein 'Härtefall'. Bereits als kleiner Junge kam er in ein Heim für Schwererziehbare. In den zwölf Jahren dort war der Kontakt mit Gewalt, Alkohol und Drogen immer da. Einen richtigen Schulabschluss hatte Marco nie: 'Alles war eine einzige Talfahrt.'
Delikte wegen Kartenbetrug, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz führten ihn mehrfach ins Gefängnis. Wahrscheinlich noch bis Juli 2013 muss er eine Haftstrafe absitzen. Als Marco in der Justizvollzugsanstalt von dem Aushang für die Qualifikation zum Hauptschulabschluss erfährt, sah er darin seine Chance. 'Endlich kam ich aus meiner Zelle einmal heraus und war beschäftigt. Davor habe ich immer in den Tag gelebt,' erzählt er. Obwohl er eine Lernbehinderung habe, sei es ihm in den fünf Monaten immer wieder gelungen, sich aufzuraffen. 'Manche Häftlinge haben nicht die Disziplin gehabt. In unserer Gruppe hatte aber jeder den Willen', so der 31-Jährige. Mit dem Vorlesen habe sich Marco sehr schwer getan. Eine Perspektive für ein Leben ohne Sträflingskleidung hat Marco bereits. Er will als Fischverkäufer im Imbisswagen seines Stiefvaters arbeiten.
Ewald Mendl, früherer Konrektor an der Lindenbergschule in Kempten, hat die Häftlinge fünf Monate lang in Arbeitslehre und Mathematik unterrichtet. Er betont, dass 'die Jungs Standfestigkeit bewiesen haben und motiviert waren'. Die Vorgeschichte der Insassen habe bei der Arbeit seiner Kollegin und bei ihm keine Rolle gespielt. Ewald Mendl: 'Es war wichtig, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und die Schüler menschlich wertzuschätzen.'