Artikel: Mit Bläsermusik vom Turm viele erfreut

23. Dezember 2002 20:30 Uhr von Allgäuer Zeitung

Der Münchner Kurt Handl erlebte 1948 in Kempten sein schönstes Fest

Von Rudolf Geiss Kempten - 54 Jahre liegt dieser Heilige Abend in Kempten zurück, aber der Münchner Kurt Handl hat ihn bis heute nicht vergessen. Denn es war 'das schönste Weihnachtsfest meines Lebens', wie der heute 73-Jährige versichert. Noch genau erinnert er sich an die Zeit, 'als Weihnachten voller Dankbarkeit als Fest des Friedens gefeiert wurde'. Den Niederbayern Handl, in München ausgebombt, hatte es nach Kempten verschlagen. Er entsinnt sich der ersten Nachkriegsjahre: 'Es war auch die Zeit, als die Flüchtlingsströme aus dem Osten kamen. Lebensmittel waren knapp, es gab kaum Kleidung noch sonst was zu kaufen. Das Geld hatte keinen Wert mehr. Der Schwarzmarkt blühte.' Der junge Mann war mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester in einem von Bomben beschädigten Block der Artilleriekaserne untergebracht, der kaum ein dichtes Dach noch ganze Fenster hatte. Aber: 'Ein nahezu heroischer Wiederaufbauwille setzte ein. Schutt wurde weggeräumt, Erdreich durch große Siebe geworfen, um Gärten anzulegen, das Nötigste an Grundnahrungsmitteln angebaut, um die hungrigen Mäuler einigermaßen satt zu kriegen. Ziegelsteine wurden gesäubert, Bretter und Bohlen zurechtgeputzt. Alle halfen zusammen, um die Behausungen bis zum nahen Winter einigermaßen abzudichten.'

Glänzende Kinderaugen So kam Weihnachten heran. Schneemassen türmten sich in den Straßen. Man hatte kaum Brennmaterial, geschweige denn warme Kleidung. Handl: 'Aber wir rückten zusammen. Bald traf man sich bei einem, bald beim anderen Nachbarn. So hatte man immer nur einen Raum zu beheizen ' Männer beschäftigten sich mit Bastel- und Schnitzarbeiten, Frauen fertigten aus Stoffresten Puppen und Kleider: 'Bald hatten wir einen schönen Weihnachtsbasar zusammengebracht. Die Kinder bekamen glänzende Augen. Glücklich und zufrieden waren wir trotz großer Not.' Am Heiligen Abend 1948 klopfte ein junger Mann an die Türe: Es war sein Freund Hans, der ebenfalls bei der Stadtkapelle mitwirkte. Mit einem Motorrad fuhr er bei eisiger Kälte von einem Musiker zum anderen, um sie für seinen Plan zu gewinnen, Menschen in dieser schweren Zeit mit Chorälen und Weihnachtsliedern zu erfreuen. Der einstige Trompeter Kurt Handl erinnert sich: 'Wir versammelten uns auf dem Kornhausplatz. Die Kälte hatten wir schnell vergessen, als wir mit den ersten Weihnachtsliedern begannen. Überall öffneten sich die Fenster. Menschen kamen auf die Straße, hörten uns voller Andacht zu.'

Tee und Plätzchen So zogen die Bläser durch die Stadt, machten an Kreuzungen und auf Plätzen Halt und spielten Choräle. 'Überall das gleiche Bild: Menschen, die selbst fast nichts hatten, brachten uns heißen Tee und selbst gebackene Weihnachtsplätzchen.' Durch die Kälte hatten die Musiker immer wieder Mühe, ihre Instrumente vor dem Einfrieren zu bewahren. 'Aber das störte uns nicht. Wir sahen die dankbaren Gesichter, die glänzenden Kinderaugen. Männer, durch den Krieg hart gemacht, schämten sich ihrer Tränen nicht ' 'Die Glocken von St. Lorenz läuteten schon zur Christmette, als wir auf dem Kirchplatz ankamen. Nochmals nahmen wir Aufstellung und bliesen zum Geläut der Glocken unsere Choräle besonders schön.' Auf Bitte des Stadtpfarrers verschönerten die Musikanten auch noch die Mitternachtsmesse: 'Von der Orgelempore klangen unsere Weisen in diesem geheiligten Raum ganz besonders feierlich. Aus tiefer Dankbarkeit, dass wir so vielen Menschen eine Freude bereiten durften, kletterten wir noch die steile Treppe auf den Südturm. Als die Besucher aus der Kirche strömten, erklangen hoch über den Dächern der Stadt Weihnachtslieder weit in die Nacht hinaus. Tief unter uns füllte sich der Platz mit Menschen. Der Geistliche kam mit den Ministranten, Schulklassen nahmen Aufstellung. Nach und nach wurden Kerzen entzündet, ,Stille Nacht, heilige Nacht' schallte es aus vielen Kehlen. Es war wieder Friede auf Erden '