Die Verbrechen der Nazis werden wohl noch Generationen von Historikern beschäftigen. Und manche Publikationen zu diesem Thema lassen dem Leser auch heute noch den Schauer über den Rücken laufen. So etwa der Beitrag von Petra Schweizer-Martinschek, einer in Irsee lebenden Historikerin, die die medizinischen Versuche an behinderten Kindern in der früheren Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren schildert.
Veröffentlicht ist dieser Beitrag im aktuellen Band des Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen Euthanasie und Zwangssterilisation. 'Als ich am zweiten Arbeitstag die Oberärzte einzeln besuchte, erschrak ich, als ich in einem Zimmer an der Wand eine Landkarte des Großdeutschen Reiches sah.'
Michael von Cranach
Viele Wissenschaftler waren laut der Autorin der Meinung, dass Behinderte vor ihrem gewaltsamen Tod wenigstens noch für die Forschung nützlich sein sollten. So auch Dr. Georg Hensel, der von 1939 bis 1946 als Oberarzt in der damaligen Tuberkuloseklinik Oy-Mittelberg tätig war. Hensel hatte ein Mittel gegen Tuberkulose entwickelt, das er in Kaufbeuren testete. Schweizer-Martinschek fand heraus, dass Hensel mindestens 13 Kindern das Medikament verabreichte. Für sechs Kinder endete diese Gabe tödlich. Vor ihrem Tod reagierten alle Kinder auf das Mittel mit Fieber, eitrigen Abszessen und geschwollenen Lymphknoten.
Nach dem Krieg erhob die Kemptener Staatsanwaltschaft 1946 zwar Anklage gegen Hensel. Doch das Verfahren endete mit Freispruch 'aus Mangel an Beweisen'. Hensel musste nur eine geringe Geldstrafe zahlen.
Das Düstere der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren lebte zumindest in einigen Bereichen in der Folgeinstitution, dem Bezirkskrankenhaus (BKH) Kaufbeuren, weiter fort, wenn man den Zeilen von Professor Michael von Cranach folgt, ab 1980 Ärztlicher Direktor dort. 'Die ersten Tage war ich tief erschüttert über die äußere Situation der 1000 Patienten.' Ärzte ließen sich von Patienten die Autos waschen, Oberarztgattinnen beschäftigten unbezahlte Patientinnen als Dienstmädchen, so von Cranach. Es gab allgegenwärtige Gewalt und extreme Hierarchie.
'Als ich am zweiten Arbeitstag die Oberärzte einzeln besuchte, erschrak ich, als ich in einem Zimmer an der Wand hängend eine Landkarte des Großdeutschen Reiches sah. Der Kollege missverstand mein Staunen und erklärte mir stolz, dass er als junger Mann mit der Legion Condor in Spanien gekämpft habe', schreibt von Cranach.