Mancher mag ja davon träumen, mal in das Ehegemach des Nachbarn hineinzulinsen, einer Dirne bei der Arbeit zuzuschauen oder Augenzeuge einer verbotenen Affäre zu sein. Die Gäste des Vorarlberger Landestheaters können solche Neigungen intensiv ausleben – und das in exquisitem Ambiente. Bei der Inszenierung von Arthur Schnitzlers 'Reigen' in der Villa Raczynski wird der Theaterbesucher an einem Abend zehnmal in die Rolle des Voyeurs versetzt und erlebt hautnah deftige, witzige, spritzige Liebesszenen.
Allein die Villa ist eine Theaterkarte wert. Über Bregenz thront das herrschaftliche Haus, 1877 vom polnischen Grafen Raczynski für seine Frau erbaut, umgeben von Terrasse, Freitreppe und Garten samt Brunnen, 1904 von den Dominikanerinnen ersteigert und seitdem vom Kloster Marienberg verwaltet und liebevoll restauriert. Während der Aufführung erkunden die Besucher die Villa – in Zimmern und auf Balkonen, im Park, unter der Laterne und in der Mansarde stoßen sie auf die zehn Paare und drehen sich mit ihnen im Liebeskarussell.
Denn für Schnitzler dreht sich die Liebe im Kreis. Sie ist ein Kommen und Gehen, nichts hat Bestand, nichts ist so wie es scheint oder gar von Dauer – egal wie inbrünstig gierige Lippen große Schwüre formulieren. Der Begriff Treue ist hier eher ein Dekorationseffekt als eine ernsthafte Idee.
Und so erkennen die Beobachter bei jedem zwischengeschlechtlichen Kontakt einen Protagonisten wieder, der eben erst mit einem anderen Partner/einer anderen Partnerin heftigen Austausch pflegte. Keine Angst: So ganz direkt wohnt das Publikum nur den verschiedenen Vorspiel-Varianten bei – für den Akt an sich hat sich Regisseurin Bernadette Sonnenbichler eine Reihe deutlicher Andeutungsvariationen einfallen lassen.
Die Grundmelodie, die dieses Karussell begleitet, ist ein leidenschaftlich-melancholischer Walzer, den Komponistin Martina Eisenreich auf Grundlage des vielvertonten Songs 'Sway' jedem Paar passend auf den Leib geschrieben hat.Und so haben die beiden Liebenden – trotz all der Zaungäste – doch immer ihren eigenen Kosmos, der sie ausfüllt und den sie ausfüllen für die Kürze ihrer Begegnung.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler leisten Erstaunliches für den 'Reigen'. Zehnmal am Abend haben sie Leidenschaft und Inbrunst zu mimen, als sei es das erste und einzige Mal. Man rechne und staune: Jede Figur ist Teil von zwei Amouren, und die Zuschauer besuchen die Schäferstündchen in fünf Gruppen – ist gleich zehn. Kein Wunder, dass Schnitzler sein Werk als kaum spielbar bezeichnete. Aber auch die Gäste brauchen Ausdauer. Denn trotz der fein herausgearbeiten Eigenheiten, der unterschiedlichen Rituale und Stimmungen, die Paare beim Liebesspiel entwickeln, wiederholen sich selbst im phantasievollsten Karussell die bunten Bilder.
Karten sind nur noch für den 21. Juni verfügbar, Telefon 0043/5574/42870-600