Geschichte: Ortschronik Denklingen - Erinnerungen an Russlandfeldzug 1941

25. Juni 2011 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung
preisinger

Ludwig Preisinger senior aus Denklingen erinnert sich in seinem Buch an den Russlandfeldzug am 22. Juni 1941

Zur 70. Wiederkehr des Angriffes auf Russland (22. Juni 1941) hat sich der Denklinger Ortschronist Paul Jörg wieder auf umfangreiche Recherche begeben - und erinnert heute anhand der Aufzeichnungen von Ludwig Preisinger sen. an das Schicksal der männlichen Geburtsjahrgänge 1921 bis 1922, die für dieses blutige Planvorhaben gezielt einberufen und ausgebildet wurden:

> heißt das Buch des Denklingers Ludwig Preisinger, das vom Sommer 1941 erzählt, dem Sommer, der mit dem Russlandfeldzug begann. Als Soldat Ludwig Preisinger und seine Kameraden Georg Micheler aus Neuburg, Richard Rief aus Kempten, Heiner Roll aus Mindelau, Richard Harz aus Igling und Franz Schmid aus Aitrang vom Infanterieregiment 468 am 22. Juni 1941 in ihrem Einsatzort in Polen um 1 Uhr nachts geweckt wurden, war ihnen klar, wozu der Drill und die vielen Alarm- und Gefechtsübungen zuvor nützlich sein sollten: Um 3.15 Uhr (Ortszeit) begann der Angriff auf Russland.

Gewaltiges Dauerkrachen

Eröffnet wurde er mit einer Maschinengewehrsalve und Sekunden später mit einem gewaltigen Dauerkrachen der Artilleriegeschütze. Als sich kurz darauf die Kampfgefährten mit ihrer Einheit über eine Brücke über den Fluss namens Bug in Marsch setzten, um Russland zu erobern, ahnten sie noch nicht, dass dieser Feldzug, geplant unter dem Decknamen Barbarossa, einen hohen Blutzoll auf beiden Seiten, insbesondere bei den jungen, kampfunerfahrenen Soldaten, fordern würde und sie Dinge erleben sollten, die sie ein Leben lang nicht vergessen würden.

Heuer jährt sich dieses Ereignis zum 70. Mal. Zu seinem 90. Geburtstag hat Ludwig Preisinger sen. seine Jugend- und Kriegserlebnisse aufgeschrieben.

Angeregt durch seine jungen Familienangehörigen, die wissen wollten, wie es früher war, und durch die von seiner Schwester ausgehändigten 400 Feldpostbriefe, die er während des Krieges geschrieben hatte, sah er sich veranlasst, auch um seiner selbst Willen, seine Erlebnisse aufzuschreiben. In Buchform gebunden, sind sie nun ein wertvolles Dokument der Orts- und Zeitgeschichte sowie für den aktuellen Geschichtsunterricht an den Schulen.

Während er in seinen Jugenderinnerungen von einem kargen Alltag, aber einer trotzdem glücklichen Kindheit in Denklingen, mit prägenden, zwischenmenschlichen Beziehungen und amüsanten Erlebnissen sowie von strengen Lehrerinnen und Lehrern, die großen Wert auf Disziplin legten, und ebensolchen Pfarrern (>) berichtet, war schon bald das Aufkommen des Nationalsozialismus zu spüren.

Neuer Stellenwert

Gab ein Lehrer 1932 noch einem euphorisierten Mitschüler eine Ohrfeige, weil dieser mit Hakenkreuzbinde am Arm zum Unterricht kam, so musste er sich mit Erziehungsmaßnahmen und kritischen Bemerkungen schon ein Jahr später zurückhalten. Geschichte und Erdkunde bekamen einen neuen Stellenwert, ebenso wie Körperertüchtigung und die Teilnahme beim Schießsport. Berufswettkämpfe prägten den jugendlichen Alltag. Für viele männliche Angehörige der Jahrgänge 1921 bis 1922 kamen die Einberufungen zur Wehrmacht im Frühjahr 1941 überraschend. Nachdem mit Russland ein Nichtangriffspakt bestand und nur in Nordafrika Kampfhandlungen im Gange waren, sahen sie ihre Verwendung als Besatzungssoldaten in einem der eroberten Länder. Der Drill in der Grundausbildung und die Schinderei in der späteren Stammeinheit ließen aber Schlimmeres erahnen.

Konkretes wurde ihnen nie mitgeteilt. Erst als am 21. Juni nach dem Verpacken der Ausrüstung, Ausgabe von eisernen Essensrationen, einem üppigen Mittagessen und feldmarschmäßigem Antreten der > bekannt gegeben wurde, dass 4,5 Millionen Russen zum Angriff auf Deutschland bereit seien, >, erinnert sich Preisinger, >.

Ludwig Preisinger, der den Russlandfeldzug bis zu seiner Verwundung im Winter 1941 vor Moskau erlebte, berichtet vom Schockerlebnis der ersten gefallenen Kameraden, von strapazenreichen Einsätzen, von Himmelfahrtkommandos, Schreckensbildern und

Horrorszenarien, von Gewissenskonflikten und Gedanken über den Sinn des Krieges, von Extremsituationen, als er zum Beispiel in einem Bunker verschüttet wurde, bis hin zur Verzweiflung beim Wach- und Sicherungsdienst an der Ostfront - bei Minustemperaturen von bis zu 45 Grad und mangelnder Versorgung. Als Glücksfall erwiesen sich für ihn die Ausgaben der Buchloer Zeitung, die ihn mit der Feldpost erreichten und von seinem Vater für ihn abonniert wurden. Die Blätter schützten ihn und seine Kameraden durch Stiefel-, Körper- und Handschuheinlagen vor Erfrierungen und machten die Läuseplage erträglicher.

Quälende Alpträume

Mit dem Aufschreiben seiner Erlebnisse kamen die Erinnerungen so stark auf, dass Preisinger oft lange Zeit nicht einschlafen konnte und ihn Alpträume quälten. Letztlich hatte das Schreiben für ihn aber eine befreiende Wirkung

und er konnte sich die Erlebnisse von der Seele schreiben, berichtet er. So wie ihm erging es vielen. Viele kehrten traumatisiert in die Heimat zurück.