Scheidegg hat sich über Jahrzehnte einen Ruf als Kneipp-Kurort erworben. Jetzt arbeitet die Westallgäuer Marktgemeinde auf einem anderen medizinischen Gebiet: als Standort für traditionelle chinesische Medizin (TCM).
Der Name "First Teaching Hospital University of Traditional Chinese Medicine" ist zwar etwas sperrig, aber die Ruf dieses Lehrkrankenhauses für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) in der Metropole Tianjin im Reich der Mitte ist international anerkannt. Auslandsambulanzen wenden das Jahrtausende alte Wissen um ganzheitliche Heilmethoden, aber auch neueste Forschungsergebnisse in über 20 Ländern rund um den Globus an. Die einzige von Tianjin autorisierte TCM-Lehrpraxis in Deutschland betreibt seit einem Jahr der Arzt Thomas Neuerer in Scheidegg.
Ihm zur Seite steht Fu Yü - ein TCM-Therapeut aus Tianjin, der im Alter von fünf Jahren mit Akupunktur begonnen hat und ein Jahr lang in Scheidegg praktizieren wird.
Die Anfänge des TCM-Angebots in Scheidegg reichen bis ins Jahr 1994 zurück, als Erwin und Gisela Obenaus die Panorama Fachkliniken für Psychosomatik, psychotherapeutische Medizin, Naturheilverfahren und Traditionelle Chinesische Medizin gründeten. Im Jahr 2000 kam dann Thomas Neuerer, der bereits seit 1996 feste Kontakte zum Lehrkrankenhaus in Tianjin hatte, als Arzt und Leiter des Bereichs TCM an die Panoramakliniken. "Aufgrund dieser direkten Kontakte nach China wurde es möglich, dass Therapeuten aus Tianjin kurzfristig als Volontäre in den Panoramakliniken tätig waren", so Klinikleiter Erwin Obenaus, der bei seinen Patienten nach wie vor ein "sehr großes Interesse an TCM" feststellt.
Im Frühjahr 2009 eröffnete Thomas Neuerer die TCM-Lehrpraxis im neuerbauten "Haus zur Sonne". Mit im Boot ist auch die Praxis "Physio Vitale" des Osteopathen Stefan Schöndorfer: "Über gemeinsame Patienten haben wir uns kennengelernt und dabei festgestellt, dass Osteopathie und TCM gut zusammenpassen", blickt Schöndorfer auf die Anfänge zurück. "Nicht zuletzt wegen der sehr großen Patienten-Nachfrage arbeiten wir auch eng mit dem Gesundheitsnetzwerk Westallgäu zusammen, mit dem Ziel, Schulmedizin, TCM und Osteopathie enger zu verzahnen", umreißt Thomas Neuerer seine Zukunftspläne. Seit 1996 reist Neuerer einmal pro Jahr für drei bis vier Wochen nach Tianjin, um sich weiterzubilden.
Aber auch die regelmäßigen Gegenbesuche chinesischer Therapeuten in Scheidegg - sie bleiben in der Regel ein Jahr - bringen nicht nur der TCM wichtige Impulse, sondern "stärken und erweitern auch die Kompetenz des Gesundheitsstandorts Scheidegg mit seinen zahlreichen Kliniken, Ärzten, Heilpraktikern und Physiotherapeuten", wie es Bürgermeister Ulrich Pfanner formuliert.
Noch bis zum Freitag, 18. Juni, haben Ärzte und Therapeuten Hospitationsmöglichkeiten bei Professor Shi Xuemin (73), dem Ehrenpräsidenten der Uniklinik Tianjin. Er gilt als der am höchsten ausgezeichnete Akupunkturarzt in China und lobt die Kompetenz der Scheidegger TCM-Lehrpraxis: "Wir haben mit diesem Austausch die besten Erfahrungen gemacht. Die ständigen Kontakte ermöglichen es uns, auch die neuesten Behandlungserfolge an unsere Auslandsambulanzen weiterzugeben." (sen)