Vortrag: Chefarzt Dr. Lichy referiert in Memmingen über das Thema Hirntod

3. Februar 2012 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung
Manfred Jörg

Ethische Balance finden

Wann endet das menschliche Leben? Um diese gewichtige Frage, über die sich die Gelehrten seit Jahrhunderten streiten, drehte sich der vierte und letzte Vortrag im Rahmen der Reihe 'Glaube und Gehirn'. Auf Einladung des Evangelischen Bildungswerkes referierte der Chefarzt der Neurologie am Klinikum Memmingen, Privatdozent Dr. Christoph Lichy, über das Thema 'Hirntod – Der Mensch im Übergang'.

Lichy ist Wissenschaftler und als solcher ein Suchender. Während seines einstündigen Vortrages und auch während der anschließenden halbstündigen Diskussion nahm er die Zuhörer im voll besetzten Schappeler-Saal des Bonhoeffer-Hauses mit auf die Suche nach möglichen Antworten. Lichy behauptete dabei zu keinem Zeitpunkt, im Besitz einer endgültigen Wahrheit zu sein. Dazu sei das Thema viel zu komplex, räumte der Mediziner ein.

Der Neurologe definierte, was der Hirntod nach gängiger Lehrmeinung sei, formulierte Kritikpunkte daran und stellte auch ethische Bedenken im Zusammenhang mit der ärztlichen Hirntod-Diagnose und der damit verknüpften Frage nach einer möglichen Organspende vor. Um diesen Themenkreis drehten sich auch die meisten Fragen aus dem Publikum.

Der Chefarzt gab nicht den allwissenden 'Halbgott in Weiß', sondern gestand ein, auch er und seine Kollegen seien auf diesem 'weiten Feld' gefordert, sich vorsichtig voranzutasten und dabei höchste Sorgfalt walten zu lassen. Diese sei vonnöten, um Irrtümer beim Feststellen des Hirntodes auszuschließen.

'Was dürfen wir uns anmaßen?'

Lichy formulierte Fragen, deren Beantwortung sich Mediziner immer wieder aufs Neue stellen müssten: Was dürfen wir uns anmaßen? Wo setzen wir den Fuß unerlaubt über eine Schwelle?

Der Neurologie-Chefarzt kam zu dem Schluss, dass der Hirntod ein von Menschen gemachtes Konstrukt sei. Er machte an diesem Punkt deutlich, dass das Hirntod-Konzept eine 'unabdingbare Voraussetzung' für die lebensrettende Transplantationsmedizin sei. Er brach hierbei eine Lanze für seinen Berufsstand und verwahrte sich gegen öffentlich immer wieder erhobene Vorwürfe, so mancher Arzt stelle vorschnell den Hirntod bei einem Patienten fest, um dessen Organe für die Transplantation freigeben zu können. Eine solche Haltung verstoße gegen das Berufsethos. Außerdem gebe es einen engen gesetzlichen Rahmen, in dem sich Mediziner bewegen müssten.

'Eine gesellschaftliche Realität ist aber auch nach wie vor, dass Menschen sterben, weil sie zu lange auf ein Spenderorgan warten müssen', gab Lichy zu bedenken. Er machte sich in diesem Zusammenhang für die Patientenverfügung stark: 'Ich kann nur jedem raten, alles rechtzeitig und klar zu formulieren und auch mit den Angehörigen zu besprechen.' Nach gut eineinhalb Stunden fasste er zusammen: 'Ich denke, wir alle müssen bestrebt sein, eine ethische Balance im Umgang mit diesen Fragen zu suchen.'