Fühlen sie sich als Pioniere oder doch eher als Versuchskaninchen? Die Jugendlichen müssen kurz überlegen. Dann sagt Raphael Ohmayer (18): "Mal so, mal so. Was die Seminararbeiten angeht, waren wir sicher Pioniere. Aber was Lehrplan oder Notengebung angeht, waren wir manchmal auch Versuchskaninchen." Sema Kaya (18) fügt hinzu: "Für die Lehrer war es schließlich auch das erste Mal."
Die Einführung des achtjährigen Gymnasiums 2004 in Bayern hat für viele Schlagzeilen und Gesprächsstoff gesorgt. Der Lehrplan wurde neu organisiert, die Oberstufe neu aufgestellt - und damit letztlich auch das Abitur neu geregelt. Für 76 Schüler ist es am Gymnasium Lindenberg soweit: Sie sind am heutigen Freitag der erste Jahrgang, der das neue G8-Abitur angeht. Dabei gibt es zwei markante Änderungen gegenüber der alten Regelung: Zu absolvieren gibt es fünf statt vier Prüfungen - und Deutsch und Mathematik sind schriftlich für alle Schüler verpflichtend. Ein Umstand, den der eine oder andere durchaus als Hürde betrachtet. "Mathe und Deutsch sind Fächer, die einem liegen müssen", findet Sema Kaya. Im Gegensatz zu Biologie oder Englischvokabeln könne man das nicht lernen - schon gar nicht mehr in der Oberstufe.
Wer da einmal den Anschluss verpasst hat, der tut sich schwer. "Viele unserer Mitschüler betrachten das als unfair", wirft David Volpini (18) deshalb ein. Und Raphael Ohmayer ergänzt: "Ich wäre nie im Leben drauf gekommen, in Mathe Abitur zu schreiben." Doch das G8 lässt den Lindenberger Gymnasiasten - wie ihren 32000 Leidensgenossen in ganz Bayern - keine Wahl.
Positive Projekt-Seminare
Die 17- und 18-Jährigen, die gerade frisch aus ihrer letzten Deutschstunde vor den Prüfungen kommen, äußern sich in der Gesprächsrunde über die Vor- und Nachteile des G8 differenziert und wohl überlegt. Eine wesentliche Grundidee des G8 war es, das bisherige System aus Grund- und Leistungskursen zu kippen. Anstatt sich zu spezialisieren, sollen die Schüler mehr Allgemeinwissen erhalten.
Projektarbeit sollte sie besser auf Berufsleben und Studium vorbereiten. "Von dem her ist es ein gelungener Ansatz", findet Raphael Ohmayer, der nach dem Abitur eine Ausbildung beim Lindenberger Rettungsdienst beginnen wird. Positiv hebt er beispielsweise die Projekt-Seminare hervor, in denen die Zwölftklässler in verschiedenen Fächern ein Energiesparhaus geplant, einen Triathlon organisiert oder einen englischsprachigen Reiseführer herausgegeben haben. Der dazu notwendige Kontakt zu Firmen und Behörden sei sehr nützlich gewesen, findet er. Und seine Mitschülerin Tammy Jajes (18) glaubt, dass sich solche Erfahrungen auf jeden Fall positiv in Bewerbungsschreiben niederschlagen werden.
Viele noch recht jung
Problematisch sehen die fünf Jugendlichen vor allem die Tatsache, dass die Abiturienten ab sofort ein Jahr früher als bisher fertig werden - und dadurch noch recht jung seien. "Viele haben noch keine Ahnung, was sie machen wollen", berichtet Tammy Jajes, die selbst eine Hochschule für Mediadesign besuchen wird. Und Raphael Ohmayer sieht vor allem praktische Probleme: "Wer mit 17 zum Studieren geht, kann nicht einmal eigenständig einen Mietvertrag unterschreiben." Regina Herrmann beispielsweise wird erst im September volljährig. Wenn möglich, möchte sie im Herbst ein Studium zur Grundschullehrerin beginnen - aber ob das hinhaut, weiß sie noch nicht. Wegen des Doppeljahrgangs werde der geforderte Notenschnitt wohl recht niedrig sein, befürchtet sie.