"Wird mein Geschriebenes herüberreichen über mein Grab?" Solche von Selbstzweifel geprägten Worte finden sich in W. G. Sebalds "englischer Wallfahrt", die den Titel trägt "Die Ringe des Saturn". Und diesen Worten begegnet auch der Besucher derzeit im Wertacher Pfarrheim. Dort widmet sich eine Ausstellung dem Schriftsteller, der am 18. Mai 1944 in diesem Oberallgäuer Marktflecken geboren wurde und der vor zehn Jahren in England verstarb - als vor allem in der angloamerikanischen Welt hoch geschätzter Literat, obwohl er seine Texte in Deutsch verfasste.
Zwei Oberallgäuer Grundschullehrer wecken jetzt in seiner Heimat das Interesse an diesem Autor mit einem bemerkenswerten Projekt. Es nähert sich dem Werk des unbequemen Dichters, der gerne an Dinge erinnert, die andere lieber vergessen wollen, auf zweifache Weise. Zum einen versucht es in fundiert zusammengestellten Übersichten die Arbeit des Autors W. G. Sebald wissenschaftlich zu erfassen - mit einer Chronik seiner Werke, deren Analyse, Bewertung und Wirkung. Zum anderen nähert es sich Sebalds Prosa und Lyrik emotional. Es vermittelt Gefühle und Stimmungen, die durch Sebalds Texte angeregt wurden, und zwar in Form von Bildern.
Melchior Fischer aus Wertach, der in Oy-Mittelberg Kinder unterweist, und Michael Glaner aus Guggemoos bei Maria Rain, der in Sulzberg unterrichtet, sind in ihrer Freizeit bildnerisch tätig. Fischer skizziert gern mit Aquarellfarben und Rohrfeder, Glaner experimentiert mit unterschiedlichen Techniken wie Radierung, Acrylfarben auf Holz oder sogar Betonguss. Beider künstlerische Ergebnisse sensibilisieren den Besucher für Sebalds Gedankenwelt.
Die Ängste eines Kindes
Dabei steht ein Schlüsseltext im Mittelpunkt, die 1990 im Buch "Schwindel.
Gefühle" veröffentlichte Erzählung "Il ritorno in patria" ("Die Heimkehr"), in der Sebald nach Jahrzehnten an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt - wie Odysseus in Claudio Monteverdis ähnlich betitelter Oper ("Il ritorno d Ulisse in patria") nach Krieg und Irrfahrten in ein ihm fremd gewordenes Ithaka. Anders als für den griechischen Helden war für Sebald jener Ort, den er wiederfindet, niemals ein Idyll. So wird seine Heimkehr zu einer düsteren Reise in die Vergangenheit, die Ängste eines Kindes und Traumata eines Erwachsenen aufdeckt.
Unwirtlich zeigt sich dem Wanderer die Natur, der an einem Novembertag von Schattwald nach Wertach strebt und dabei im Tobel auf eine Dunkelheit trifft, "wie ich sie mitten am Tag nicht für möglich gehalten hätte". Diesen Weg des Erinnerns, den Sebald assoziationsreich beschreibt - und den Wertach mittlerweile touristisch zu nutzen sucht -, haben die beiden künstlerischen Autodidakten in einer Reihe ihrer Werke festgehalten: der undurchdringlich wirkende Wald, die von Schnee schwangeren schwarzen Wolken, die düsteren Spätherbsttage, die Einsamkeit. Die Bilder bleiben dabei zwar immer der gegenständlichen Darstellung der Natur treu - auch wenn sie manches Motiv nur andeuten -, vermögen aber stets Stimmung zu transportieren: Etwa Schwermut und Trauer, wie sie aus vielen Textpassagen spricht.
Passende Passagen aus Sebalds Werk stellen Melchior Fischer und Michael Glaner ihren Gemälden gegenüber. Gedankenreich knüpfen die beiden Maler bei der Eröffnung der Ausstellung die Verbindung zwischen Bild und Text: Das Sehen sei in Sebalds Werk von zentraler Bedeutung. Ständig stoße man auf lange Betrachtungen und genaue Beobachtungen. Immer wieder führen zudem in Sebalds Büchern eingefügte dokumentarische Bilder die Gedankenkette des Textes weiter. Dabei machen Fischer und Glaner keinen Hehl daraus, dass sie erst allmählich Zugang zu Sebalds Werk gefunden haben.
Reibung und Faszination
Reibungsfläche und Faszinationskraft zugleich bot für Sebald zeitlebens seine Oberallgäuer Heimat. Die Wertacher Ausstellung macht Lust, ihn nun auch dort verstärkt zu entdecken.
Öffnungszeiten: Die Ausstellung "W.orten Farbe verleihen" dauert bis 5. Juni. Sie ist täglich von 14 bis 17 Uhr zu sehen.