Nicola Waltz erinnert sich noch gut daran, wie sie im Jahr 1986 zum ersten Mal den Theatersaal von Schloss Lautrach (Unterallgäu) betrat. Das ehemalige Kleinod unter dem Dach des Gebäudes bot ein Bild des Jammers. Von der einzigartigen Raumgestaltung mit wertvollen, handgedruckten Papiertapeten an den Wänden war nicht mehr viel übrig geblieben. Der Zahn der Zeit hatte – in Form von Feuchte, Kälte und Hitze – fast ganze Arbeit geleistet. Farbschichten waren abgefallen, an vielen Stellen fehlte das Papier völlig, Papierschollen klebten häufig nur mehr an einzelnen Rupfenfäden – so lautete der Schadensbericht von Waltz und ihrer Kollegin Andrea Fiedler, den beiden Diplom-Restauratorinnen aus München, die man zu Rate zog. 'Alles war sehr verschmutzt, die verbliebene Originalsubstanz extrem gefährdet.'
25 Jahre später bietet sich ein anderes Bild im Theatersaal, der etwa 90 Zuschauern Platz bietet. Ein Gutteil des ovalen Raumes erstrahlt in frischen Farben. Nun kann man auch wieder die Reisen des antiken Helden Anthenor nachverfolgen, die auf den Tapeten bildlich dargestellt sind.
Zu verdanken ist das Waltz und Fiedler. Sie haben die Papiertapeten in mühevoller, Tausende von Stunden dauernder Detailarbeit restauriert.
Der Anstoß dafür kam vom Landesamt für Denkmalpflege. Die Experten waren sich einig, dass der Theatersaal samt den Tapeten kulturhistorisch so bedeutend ist, dass nicht nur das Übriggebliebene konserviert, sondern auch das nicht mehr Vorhandene rekonstruiert werden sollte. Mit einem Skalpell, das sonst Augenärzte verwenden, lösten Waltz und Fiedler beispielsweise die Papierreste von der schadhaften alten Leinwand ab, um sie auf eine neue Leinwand samt mehrerer Lagen Japanpapier aufzukleben. Was zwischen den Papierinseln fehlte, ergänzten sie mit selbst angerührten Leimfarben.
4000 Druckstöcke angefertigt
Warum ist dieser Raum so einzigartig? Der französische Emigrant Graf Firmas-Perier wollte, nachdem er das Schloss 1805 ersteigert hatte, nicht auf seinen bisherigen Lebensstil verzichten. Zur standesgemäßen Hofhaltung gehörte für ihn ein Theater. Also baute er nachträglich eins ein.
Wände, Säulen und Decke ließ der Graf mit handgedruckten Papiertapeten bestücken – eine Mode, die sich damals nur der Adel und reiche Bürger leisten konnten. Er beauftragte dafür die Firma Dufour in Paris, eine der berühmtesten Tapetenmanufakturen Europas.
Ungefähr im Jahr 1827 wurden die Tapeten für Lautrach im Hochdruckverfahren hergestellt. Dafür sorgte ein besonders geschultes Personal von Künstlern, Formstechern und Druckern. Bis zu 4000 Holzdruckstöcke mussten für Panoramatapeten geschnitten werden, wie sie im Lautracher Theatersaal montiert wurden. Bildhaft erzählt wird dort von den Reisen des Anthenor, einer Figur aus Homers 'Ilias'. Im gedruckten Deckengemälde der Kuppel über dem Saal ist die 'Toilette der Venus' dargestellt. Noch mehr als bei anderen Tapeten musste auf einen genauen Abdruck geachtet werden, um die feinen Zeichnungen und Farbnuancierungen wiederzugeben.
Bis heute haben sich nur wenige solcher Wandtapeten erhalten. Der Lautracher Theatersaal sei deshalb eine Rarität, erklärt Dieter Groher, der Chef des Management Centrums Schloss Lautrach. 'Wir wollen den Saal für die Nachwelt erhalten. Das ist uns eine Herzensangelegenheit.'
Weitere 200 000 Euro nötig
Diese Herzensangelegenheit ist allerdings eine kostspielige Sache Das Management Centrum hat schon viel Geld in die Hand genommen, um aus dem einstigen Kleinod wieder ein Schmuckstück zu machen. Mit Hilfe der öffentlichen Hand wurden seit dem Start des Seminarhauses im Jahr 1989 rund 250 000 Euro investiert. Damit konnten fünf von acht Bildfeldern sowie ein Teil der Kuppel in den alten Glanz versetzt werden.
Drei Felder, die Säulen und ein Teil der Kuppel fehlen noch – was schätzungsweise weitere 200 000 Euro kosten wird. Öffentliche Gelder gibt es jetzt nicht mehr, weil der Saal nicht öffentlich zugänglich ist. Schloss-Chef Groher hofft deshalb, andere Finanziers zu finden. Denn die Restauratorinnen Waltz und Fiedler können nur
aktiv werden, wenn Sponsoren ihre Geldbeutel öffnen.
Bis zum Jahr 2018, wenn das 25-jährige Bestehen des Management Centrums gefeiert wird, soll der Theatersaal jedenfalls wieder das Juwel werden, das es einst war.