An diesem Vormittag will sich der Nebel nicht auflösen. Es ist kalt und nass. Typisches Fritz-Walter-Wetter. Bernd Dassel weiß, was das bedeutet und dass Fritz Walter einer der berühmtesten Fußballer gewesen ist, der am liebsten bei nasskaltem Wetter gegen den Ball trat. Bernd Dassel war lange Zeit Sportredakteur. Sein Wetter allerdings ist das heute nicht. Die Nässe kriecht in Dassels maroden Körper, und das Herz fängt an zu spinnen, wenn es draußen kalt ist. Der 65-Jährige ist dennoch gut gelaunt, als er am Tisch sitzt in seinem hübsch renovierten Fachwerkhaus in Bettelhofen bei Leutkirch und erzählen soll über die von ihm moderierte Gesprächsrunde 'Talk im Bock' in Leutkirch. Weshalb prominente Köpfe wie Dietmar Hopp, Philipp Lahm, Ulrike Folkerts, Claus Kleber oder Frank Plasberg zu Gast sind. Weshalb sie ohne Gage kommen. Und weshalb das Publikum in Massen strömt.
Der 'Talk im Bock' in Leutkirch feiert den 10. Geburtstag am kommenden Montag (20 Uhr, Bocksaal) und gehört zu den bedeutenden Veranstaltungsreihen der Region.
Dieser Talk ist Dassels Kind. Und weil die Freude über Kinder oft Schmerzen verdrängt, denkt er nicht immer an die Defekte in seinem Körper. Egal, dass er nach sechs Herzinfarkten drei Bypässe und einen Defribrilator in sich trägt. Dazu künstliche Gelenke in Knien und Hüften. Dass er Hautkrebs, Lungenembolie und 28 Vollnarkosen hinter sich hat. Auch wurscht, dass er an einer Krankheit leidet, bei der Nervenzellen absterben und die ihm ein zügiges Gehen verwehrt.
Kein Lamentieren mehr
Alles irgendwie egal. Beim Talk im Bock muss er ohnehin nur sitzen. 'Mich zieht nichts mehr runter', sagt er und dass er nach den körperlichen Tiefschlägen nur noch lachen könne. Na ja, nicht unbedingt an jenen Tagen, wenn die Schmerzen unerträglich werden. Aber die Zeit des Lamentierens liege hinter ihm.
Bernd Dassel liebt den Talk im Bock. Gewiss, er hat auch viele berufliche Stationen geliebt: als Tageszeitungs-Redakteur, als Rundfunkmoderator oder als Chef des SAT.1-Frühstücksfernsehens. Die Allgäuer Talk-Runde würde er dennoch an Nummer eins setzen. Obwohl er keinen Cent daran verdient.
Hingegen profitieren bedürftige Kinder vom Talk im Bock oder Menschen, die die Spur verloren haben. Mit den Spendengeldern des Publikums werden soziale Einrichtungen unterstützt. Bislang mit einer Summe von 370 000 Euro. Das schätzen die Gäste. Deshalb kommen sie zum Nulltarif.
Natürlich ist Dassel darauf stolz. Das war so nicht zu erwarten, als die Stadt Leutkirch vor zehn Jahren auf die Suche ging nach einem Event. Dassel hatte mal die Bemerkung fallen lassen, eine Talkrunde für die Volkshochschule ins Leben rufen zu wollen, wenn er in Rente geht. 'Könntest du das zehn Jahre früher umsetzen?', fragte man ihn prompt. Dassel sagte zu. Obwohl der ärztliche Rat lautete, kürzer zu treten. Menschen mit großem Ehrgeiz sind aber auf diesem Ohr oft taub. Dassel auch, und so ließ er 2001 seinen ersten Gast Platz nehmen. Willi Steul, heute Intendant des Deutschlandfunks. Die Veranstaltung war ausverkauft – ein Traumstart.
Suche nach geeigneten Gästen, Telefonate, Mailverkehr, Recherchen: Für Dassel ist das wie ein Fulltime-Job, der ihm viel Spaß bereitet. Und der es manchmal schafft, seine Schmerzen zu bekämpfen.