Es ist nicht so, dass Ausdauersportler per se hart gegen sich selbst sind. Manchmal fällt es ihnen sogar ganz leicht, hinauszugehen und zwei Stunden zu laufen. Dem Unternehmer Wolfgang Wiedemann muss es gestern so ergangen sein. Vormittags wichtige Meetings.
Draußen tauchte die warme Herbstsonne die Natur in ein freundliches Licht. Nachmittags verabschiedete sich Wiedemann dann für einen langen, langsamen Trainingslauf. Einfach so. Der 65-Jährige gehört zu den Chefs, die wissen, dass der Laden auch mal ohne sie läuft. "Es fällt mir heute viel leichter, mich für solche Sachen vom Unternehmen zu lösen," sagt er. Die Unternehmensgruppe Wiedemann im Süden der Stadt, ein Familienunternehmen, ist mit der Mess-, Steuer- und Regeltechnik groß geworden. 400 Beschäftigte entwickeln, produzieren und vertreiben weltweit Hochtechnologie. 'Der Mensch steht im Mittelpunkt', betont Wiedemann jedoch, was sich in den vielen Facetten der Personalpolitik zeigt. Ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Teil davon ist, dass die Inhaber, Katharina und Wolfgang Wiedemann, jede Form von Körperertüchtigung im Betrieb fördern. Keineswegs sieht sich der Chef als Vorturner. 'Die laufen mir doch alle davon', lacht er. Als Symbolfigur in einem sportlichen Unternehmen taugt Wiedemann – Körpergröße 1,76 Meter, 70 Kilogramm Gewicht – aber allemal.
Teil der Kultur
Denn in der warmen Jahreszeit sind die 'STW'-Trikots bei vielen Wettbewerben zu sehen. Die Ausdauer-Asse Wolfgang Sieder und Roland Schindele, zwei Sensortechnik-Mitarbeiter, laufen jedes Jahr in Teams beim spektakulären 'Transalp' mit finanzieller Unterstützung ihres Arbeitgebers über die Alpen. 30 Firmenangehörige gingen im Frühjahr beim Auerberg-Mountainbikemarathon mithilfe des Betriebes an den Start. Beim Voralpenmarathon in Kempten ist das Kaufbeurer Unternehmen ebenfalls laufend präsent. Jeden Mittwoch bricht die Radlrunde am Werkstor zum Training auf. Und ein Kollege verschickt regelmäßig Rundmails mit Laufsportterminen. 'Das alles motiviert unwahrscheinlich', sagt Wiedemann. 'Und das schweißt zusammen.
' Die Platzierungen werden in der Firmenzeitschrift gewürdigt, im Haus hängen Urkunden, und bei der Jahresfeier honoriert die Belegschaft die Erfolge ihrer Kollegen mit Applaus. 'Das alles ist bei uns Teil der Kultur', meint er.
Der Unternehmer lief schon immer. Im Alter von 60 Jahren, wenn andere kürzertreten, verschrieb er sich allerdings den 42,195 Kilometern, der Marathondistanz. 'Und es steckte keine persönliche Krise dahinter', lacht er. In München, Berlin und Ulm absolvierte er bereits die Königsdistanz, 'immer so um die fünf Stunden'. Er schätzt die monatelange Vorbereitung mit den Läufen am frühen Morgen, dem stundenlangen Traben zwischen Bärensee und Mooshütte für die Grundlagenausdauer und die flotten Intervalle, die nach der Trainingslehre einen Sportler erst schnell machen.
Und er liebt die Atmosphäre beim Marathon mit Tausenden Anderen, 'das Gefühl, ab Kilometer 30 an seine Grenzen zu kommen'. Er sagt: 'Das inspiriert.' Das Glücksgefühl beim Lauf durch die freigesetzten Endorphine, die Träumereien, den freien Kopf und die guten Ideen könne er nur jedem empfehlen. 'Es muss ja nicht immer ein Marathon sein.'
Für Wiedemann freilich schon. Am 6. November startet der Unternehmer in New York – mit 40 000 Läufern. 'Das ist einmalig', schwärmt er. Das Ziel? 'Egal – na ja, unter fünf Stunden.'