Eine Schiebermütze, unter der die graue Lockenmähne hervor quillt, eine dicke Lesebrille auf der Nase und die akustische Gitarre in der Hand. So erscheint Wolfgang Niedecken im Kaminwerk mit seiner kürzlich veröffentlichten Biografie "Für ne Moment". Das 528 Seiten starke Werk hat sich der Sänger der Kölschrockband BAP selbst zum 60. Geburtstag geschenkt. Die Geschichten will er mit 220 Zuhörern teilen.
Der Rhein, der grau und schmutzig dahin treibt, der bittere Geruch von Rohkakao aus dem Stollwerck, die Mutter hinter der Theke des Lebensmittelladens in der Severinstraße, der Vater im Büro, der Chippendale-Tisch im heimischen Wohnzimmers - so spießig fand Wolfgang das, dass er sich schämte, Freunde einzuladen. Niedeckens Erinnerungen fördern Bilder aus seiner Kölner Kindheit zutage. "Ein Aufblitzen von Augenblicken" nennt es der Autor Oliver Kobold, der beim Auftritt das Vorwort übernimmt.
Gitarre und Mundharmonika legt Niedecken gar nicht erst ab, wenn er vom Gesangsmikrofon zum Lesepult wechselt, um seine Lebensgeschichte zu rezitieren. Thematisch zu den Lesehäppchen passen die Lieder - in breitester Kölner Mundart. Die richtigen BAP-Fans im Publikum kennen natürlich die Übersetzungen der Lieder ins Hochdeutsche.
Nicht-BAPler verstehen oft nur Wortfetzen oder erkennen zumindest die Melodien der unvermeidlichen Hits "Verdamp lang her" und "Maat et joot" wieder.
"Eingekölschte" Songs
Aus dem Englischen "eingekölschte" Songs von Neil Young (Cowgirl in the Sand), den Kinks (Celluloid Heroes) und Bob Dylan (Like a Rolling Stone), runden die Setliste ab. Auf den Spuren weiterer musikalischer Vorbilder besuchte Niedecken die südfranzösische Villa Nellcote, wo einst die Stones ihr drogenschweres Album "Exile on Main Steet" aufnahmen. Eine Ameisenstraße und eine Keksdose spielen die Hauptrolle in der lustigen Anekdote aus dem legendären Haus. Nachdenklicher wird Niedecken, als er die schwierige Beziehung zu seinem Vater schildert. Traurig beim Schicksal der Kindersoldaten in Uganda, für die er sich einsetzt.
Von den Zuhörern fordern die drei Stunden Vortrag ein großes Pensum Aufmerksamkeit, geraten über weite Strecken ernst und auch etwas steif. Da er kaum frei spricht, baut Niedecken nur wenig Beziehung zu seinem Publikum auf. Das scheint gewollt. Wichtig ist: Zurücklehnen, Bilder und Musik wirken lassen. Trotz aller Selbstzweifel und Ratlosigkeit blickt Niedecken nun ohne Bitterkeit auf sein Künstlerleben zurück. Der Prozess des Schreibens an der Biografie, das Sprechen mit dem Autor und nun das Vorlesen tragen dazu bei, eine bewegte Vergangenheit zu sortieren. Am Ende bleibt das Gefühl, der ewige Sucher hätte ein Stück weit Frieden mit sich und seinen Mitbewohnern in der Domstadt geschlossen. Der spießige Chippendale-Tisch steht heute in Niedeckens Arbeitszimmer.
Und noch längst sei nicht alles gesagt und geschrieben. Vielleicht komme ja noch Teil zwei der Biografie, meint Oliver Kobold augenzwinkernd. Schließlich sei genug Material übrig geblieben.
Ohne seine Band BAP, dafür mit seiner kürzlich erschienenen Biografie "Für ne Moment" und der Akustikgitarre im Gepäck, reiste Wolfgang Niedecken im Kaminwerk an. Dort ließ er sein Leben musikalisch und in Worten Revue passieren. Foto: Gögler