Andreas Raichle nimmt eine Hand vom Lenkrad und zeigt auf die Spuren im Schnee: ein Zickzackmuster. Jemand hat gebremst, ist wieder angefahren und fand mit seinen Reifen zunächst keinen Halt auf der verschneiten Fahrbahn. 'Das ist typisch für diese Stelle hier', sagt Andreas Raichle. 'Diese Stelle' – die Verbindungsstraße zwischen Oberkürnach und Schmidsreute – ist für den 47-Jährigen eine echte Gefahrenquelle, wenn er seine Töchter täglich mangels eines Schulbusses von Unterkürnach nach Wiggensbach zur Schule fährt. Deshalb würde er lieber die Verbindung über Ermengerst nutzen. Doch die Gemeinde Wiggensbach zahlt einen Fahrtkostenzuschuss nur für die kürzere Strecke über Schmidsreute. 'Zurecht', wie Bürgermeister Thomas Eigstler betont. Andreas Raichle sieht das anders. Beim Verwaltungsgericht reichte er deshalb Klage ein.
Zweimal am Tag – morgens und mittags – fährt Andreas Raichle von Unterkürnach nach Wiggensbach, um seine Töchter Luisa und Lara zur Schule zu bringen und wieder abzuholen. Von der Gemeinde erhält er für die knapp sieben Kilometer lange Strecke 'über den Buckel' einen Fahrtkostenzuschuss von 29 Cent pro Kilometer, im Jahr macht das gut 1500 Euro aus. Im Sommer ist das für den 47-Jährigen völlig in Ordnung. Im Winter aber nicht. Da nämlich wird alljährlich für besagten 'Buckel' mit einem 17-prozentigen Gefälle ein Schild aufgestellt, das die Schneekettenpflicht anzeigt.
'Viermal am Tag müsste ich Schneeketten aufziehen', sagt Raichle. Das sei weder ihm selbst, der nach einem Schlaganfall schwerbehindert ist, noch seiner Frau zuzumuten. 'Und wenn ich’s nicht tue und es passiert was, bin ich immer mit schuld', ärgert sich der Familienvater. Polizeisprecher Alexander Resch bestätigt das: Zwar drücke die Polizei bei Kontrollen schon mal ein Auge zu, wenn Schneeketten nicht aufgezogen werden. Bei Unfällen sehe das aber ganz anders aus: 'Für Versicherungen spielt das eine große Rolle', sagt Resch.
Mehrfach sprach Raichle in der Sache bei der Gemeinde vor und forderte, dass das Schild entweder nur an den Tagen aufgestellt wird, an denen es wirklich nötig ist, oder eben, dass die Gemeinde im Winter einen Zuschuss für die längere Strecke über Ermengerst – das sind gut elf Kilometer – zahlt. Rund 300 Euro im Jahr wären das mehr. Nicht zuletzt, argumentiert Raichle, gehe es um die Sicherheit der Kinder.
Wiggensbachs Rathauschef betont dazu: 'Die Sicherheit liegt aber auch in der Hand der Eltern.' Das Schild nach Bedarf aufzustellen und wieder abzubauen, ist laut Eigstler unpraktikabel und 'für die Gemeinde nicht zumutbar'. Mit dem Landratsamt habe der Markt Wiggensbach die Situation eingehend geprüft. Die Rechtslage sei eindeutig: 'Die kürzeste zumutbare Strecke zählt', sagt Eigstler.
Und da die Gemeinde ihrer Verkehrssicherungspflicht gewissenhaft nachkomme, sei die Strecke über Schmidsreute auch im Winter zumutbar. 'Wenn Herr Raichle dann den Umweg wählt, liegt das alleine in seinem Ermessen', erklärt Eigstler.
Muss die Gemeinde für den Umweg aufkommen oder nicht? Gibt es einen Kompromiss? Das wird das Verwaltungsgericht in Augsburg klären. Im Januar ist der Termin.