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Toni Reichart aus Lengenwang hat ein Buch über seine Pilgererfahrungen auf dem Jakobsweg geschrieben

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Toni Reichart aus Lengenwang hat ein Buch über seine Pilgererfahrungen auf dem Jakobsweg geschrieben

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    Toni Reichart aus Lengenwang hat ein Buch über seine Pilgererfahrungen auf dem Jakobsweg geschrieben
    Toni Reichart aus Lengenwang hat ein Buch über seine Pilgererfahrungen auf dem Jakobsweg geschrieben Foto: Carmen Jaspersen (dpa)

    Der Weg ist das Ziel: Diese Binsenweisheit, die für Wanderer im Allgemeinen gilt, gilt für Jakobspilger im Besonderen und für Anton Reichart im Speziellen. Der langjährige Lengenwanger Gemeinderat hatte mit einer abklingenden Depression und einem Burnout zu kämpfen, als er sich im Herbst 2009 auf den Jakobsweg machte. Über die Eindrücke, die er auf seinem sechswöchigen, meditativen Fußmarsch von Saint Jean Pied de Port bis ins spanische Santiago de Compostela sammelte, hat der 60-Jährige nun ein Buch geschrieben.

    Darin klingt durch, wie Reichart durch seine 818 Kilometer lange Pilgerung neue Lebensfreude und Selbstbewusstsein tankte. "Ich sah den Jakobsweg als Möglichkeit, mich weiter von meiner Depression zu erholen", sagt er. Der verheiratete Frührentner hat kein Problem, offen über seine Krankheit zu sprechen: "Seit Enke kann man ja darüber reden." Den gelernten Realschullehrer, Sparkassen-Betriebswirt und Journalist ereilte diese, nachdem er sich nach über 20 Jahren bei der Sparkasse im Alter von 50 Jahren dazu entschlossen hatte, wieder als Lehrer zu arbeiten.

    "Nerven weggeworfen"

    Nach neun Jahren als Lehrer war Reichart "reif für die Insel": "Ich habe meine Nerven weggeworfen." Den ersten Schrei habe er oft schon um 8 Uhr losgelassen - meist war der notorische Zuspätkommer, der direkt neben der Schule wohnte, der Anlass. Den Geräuschpegel im Klassenraum vergleicht er mit Lkw-Lärm, sich selbst mit einem überbeanspruchten Zirkusdompteur.

    Die Schule ist für ihn abgeschlossen, der Prozess des Lernens nicht: Kompromissfähigkeit und auch mehr Gelassenheit habe er auf dem Camino Francés gelernt - auch im Umgang mit grantigen Menschen. Früher habe er den Konflikt gesucht, jetzt frage er, "was ist los, welche Probleme hast Du?"

    Apropos Menschen: Am beeindruckendsten fand Reichart die Menschen, die er auf dem Jakobsweg kennenlernte: Einen Professor traf er unterwegs ebenso wie eine Hawaii-Aussteigerin, die für ihren drogenabhängigen Sohn betete. Die alte Frau nicht zu vergessen, "die den ganzen Tag in der Dorfkirche saß, nur weil vielleicht alle paar Stunden mal ein Pilger vorbeikam". Dankbar ist Reichart dem Priester, der ihn und seinen Mitpilger Jürgen Endrass in León eine halbe Stunde begleitete, nur weil sie ihn nach dem Weg gefragt hatten. "Dieser hat den Pilgergedanken verinnerlicht."

    Neben menschelnden Begebenheiten spart er nicht mit Kritik. Daran etwa, dass jede zweite Herberge am Jakobsweg Pilger mit Hund ablehnt. Das sei ein Verstoß gegen den Pilgergedanken, ebenso wie der oktoberfestähnliche Rummel in der Grabeskirche Santiagos mit den ständig klingelnden Handys und der "feinen, völlig unandächtigen", mit Smokings, Hütchen und Schühchen ausstaffierten Gesellschaft dort. Um dorthin zu kommen, waren Reichart und Endrass 40 Tage lang bis zu 25 Kilometer pro Tag gewandert.

    Bis zu 35 Grad Celsius

    Dieses Erlebnis bei Temperaturen von bis zu 35 Grad war für Reichart ein Gewinn: Es erfüllt ihn mit Stolz, dass er den steinigen Pfad trotz Altersdiabetes bewältigte. Am Pilgerort Cruz de ferro hinterlegte er wie unzählige andere Pilger einen Stein mit seinen Wünschen und Sorgen.

    Dabei hatte er aus dem heimischen Garten zwei Steine mitgenommen. Einen fand er nicht mehr, als er dort war. Für Reichart eine schicksalhafte Fügung: "Einen Stein hat mir der Heilige Jakobus als Aufgabe wieder mitgegeben. An Jähzorn und Ungeduld soll ich weiter arbeiten."

    Er ist froh, dass er seinen Burnout überwunden hat: Nun will er seine Erfahrungen weitergeben und eine psychische Beratung am Arbeitsplatz für Dienstleistungs- und "Köpfchenberufe" anbieten. Auch das ist eine Idee, die ihm auf dem Jakobsweg gekommen ist. Insofern könnte er diesen auch als Reise zu sich selbst bezeichnen.

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