In einem Monat wird das Vereinigte Königreich die Europäische Union endgültig verlassen. Welche Regelungen danach gelten, ist nach wie vor unklar. Die bayerisch-schwäbische Wirtschaft blickt daher mit zunehmender Sorge auf den bevorstehenden Brexit. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages (BIHK), an dem sich auch bayerisch-schwäbische Unternehmen beteiligt haben. "Wir brauchen endlich Klarheit und eindeutige Regeln", sagt Stefan Offermann, Vorsitzender des Ausschusses International der IHK Schwaben. "Die Wirtschaft in Bayerisch-Schwaben ist stark exportorientiert. Bei vielen wirkt sich die politische Hängepartie und die damit verbundenen Unsicherheiten bereits jetzt ganz konkret aus."
500 Unternehmen mit Wirtschaftsbeziehungen nach Großbritannien und Nordirland
Rund 500 IHK-Unternehmen aus Bayerisch-Schwaben unterhalten derzeit aktive Wirtschaftsbeziehungen nach Großbritannien und Nordirland. Darunter vor allem Kfz-Zulieferer, Unternehmen aus dem Bereich Maschinenbau oder der Lebensmittelbranche sowie Speditionen. Einige exportieren Güter oder beziehen Waren von dort, andere haben eigene Niederlassungen auf den Inseln. Laut der BIHK-Umfrage geht fast jedes zweite Unternehmen davon aus, dass sich ihre Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich 2021 verschlechtern werden. Wegen der unklaren Lage haben 46 Prozent der Befragten bereits vergeblich versucht, sich auf die Zeit nach dem vollständigen Brexit vorzubereiten und dafür beachtliche Summen investiert.
Brexit-Übergangsphase ist beinahe ergebnislos verstrichen
Am 1. Februar 2020 ist das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausgetreten. Bis Ende des Jahres gilt eine Übergangsphase. Wie es danach weitergeht, ist derzeit Gegenstand von Verhandlungen. Die kommen jedoch nur schleppend voran. Selbst ein ungeregelter Brexit ist nach derzeitigem Stand möglich. Die IHK Schwaben fordert daher eine zügige Einigung über die Grundlagen eines Freihandelsabkommens. „Die Wirtschaft in Bayerisch-Schwaben braucht freie Bahn für den Waren- und Dienstleistungsverkehr in beide Richtungen. Eine möglichst enge Anbindung Großbritanniens an die EU ohne Zölle oder andere Handelshemmnisse ist von großer Bedeutung“, so Stefan Offermann.
Die größten Risiken: Handelshemmnisse und Rechtsunsicherheit
Laut der Umfrage sehen rund 80 Prozent der Unternehmen die größten Risiken bei den ausstehenden Regeln zu Warenverkehr, Grenzkontrollen und Zollbürokratie. "Ohne Handelsabkommen würden für den Warenverkehr mit Großbritannien Regeln wie mit einem Drittstaat außerhalb der EU gelten", sagt Offermann. Ein weiteres Problem für die Firmen ist die fehlende langfristige Rechtssicherheit. Nach Ausscheiden aus dem EU-Regelwerk kann sich der Rechtsrahmen im Königreich, etwa beim Datenschutz und Steuerrecht, laufend ändern. Diese Unsicherheit sieht die Hälfte der befragten Unternehmen als Risiko an. "Hier sind großzügige Übergangsregelungen notwendig", fordert Offermann. Ähnlich ist die Situation bei Standards und Normen: Ohne Übergangsregelungen sind zum Teil langwierige Produktzulassungen nötig, um den britischen Markt zu beliefern. Dieser technische Marktzugang ist für rund ein Viertel der befragten Unternehmen existenziell für ihr Großbritannien-Geschäft. Zudem besteht im Fall niedriger Standards das Risiko, dass EU-Unternehmen mit Wettbewerbsnachteilen zu kämpfen haben.
IHK Schwaben stellt Online-Informationsangebot zur Verfügung
Die IHK Schwaben empfiehlt ihren Mitgliedsunternehmen, die Zeit bis Ende des Jahres für weitere Vorkehrungen zu nutzen. "Selbst bei einem positiven Abschluss der Verhandlungen werden ab Januar 2021 zollrechtliche Vorschriften für den Warenverkehr gelten, mit denen viele Unternehmen, die bislang nur im EU-Binnenmarkt tätig waren, keinerlei Erfahrung haben", sagt Offermann. Die IHK Schwaben stellt daher umfassende Online-Angebot zur Verfügung. Bis Donnerstag, 10. Dezember, läuft die Webinarreihe "Ready for Brexit", unter anderem zu Recht und Datenschutz sowie zu technischen Standards und Normen. Informationen und Anmeldemöglichkeiten gibt es unter schwaben.ihk.de, Nr. 4906318.
Handelsvolumen mit dem Königreich schrumpft nach Brexit weiter
Bayernweit ist das Vereinigte Königreich mit einem Exportvolumen von 12,5 Milliarden Euro der sechstwichtigste Handelspartner. 2019 gingen 6,6 Prozent aller bayerischen Exporte auf die Insel. Seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 schrumpft das Handelsvolumen kontinuierlich. Damals war Großbritannien noch Bayerns zweitwichtigster Exportmarkt. Von Januar bis September 2020 sanken die bayerischen Ausfuhren nach Großbritannien im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum noch einmal um 22,8 Prozent – deutlich stärker als das coronabedingte Gesamtminus von 14,8 Prozent. "Das zeigt, wie groß die Verunsicherung der heimischen Wirtschaft zuletzt bereits war, und lässt erahnen, welche Folgen ein ungeregelter Brexit hätte", so Offermann. Eine im Auftrag der IHK München erstellte Studie des ifo-Instituts München hat ergeben, dass ein harter Brexit Bayern langfristig 0,24 Prozentpunkte Wirtschaftswachstum kosten könnte, ein Verlust von 1,4 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung.