An das Erlebnis erinnert sich Patrick noch, als ob es gestern gewesen wäre. Im Schulbus haben ihm andere Jugendlichen die Mütze geklaut und seine jüngeren Geschwister geärgert. 'Da bin ich aufgestanden und habe laut gerufen: 'Stopp! Lass mich in Ruhe! Ich will keinen Stress!', erzählt der 15-Jährige.
Dadurch ist der Busfahrer auf die Situation aufmerksam geworden, der Streit wurde geschlichtet - und seine Mütze hat der zierliche Bub auch wieder bekommen. Wenn er sich nicht gewehrt hätte, dann wäre die jetzt sich weg, glaubt er. 'Stopp! Lass mich in Ruhe! Ich will keinen Stress!' Diese drei Sätze hat Patrick in einem Schulprojekt für Selbstverteidigung gelernt, das seit Februar 2011 wöchentlich an der Antonio-Huber-Schule in Lindenberg stattfindet. Auch in dieser Trainingsstunde werden sie ständig wiederholt, so lange und so oft, bis sie den Siebt- bis Neuntklässlern der Förderschule in Fleisch und Blut übergehen. 'Es ist wichtig, den Schülern ein simples Verhaltensmuster einzudrillen, das auch unter Stress abrufbar ist', sagt Trainer Klaus Herbst. Das gilt nicht nur für Worte, sondern auch für Taten.
Einfache Abwehrreaktionen, ob das simple Wegschlagen einer Hand, der gezielte Fußtritt oder die Möglichkeit, sich aus einem Klammergriff zu befreien – die Schüler üben immer wieder die gleichen Abläufe.
'Es geht auch darum, durchzuhalten und dranzubleiben', sagt Schulleiterin Elisabeth Magin, die von Walter Schmid vom Kreisjugendring auf das Schulprojekt der VDS-Akademie Lindenberg aufmerksam gemacht worden ist. VDS steht für 'variable self defense', also variable Selbstverteidigung.
Kurse dieser Art bieten die Trainer Klaus Herbst und Marcus Wadas bereits seit vier Jahren an der Mittelschule Immenstadt an. Dank der Gesellschafter der Firma Hochland, die seit 2009 nachhaltige soziale Projekte unterstützen und auch das VDS-Schulprojekt zu 100 Prozent bezahlen, läuft das Training, das freiwillig, aber vorerst nur für Buben ist, auch an der Antonio-Huber-Schule. 'Es ist toll, welche Fortschritte die Schüler im letzten Dreivierteljahr gemacht haben', freut sich Claudia Reich-Stahl von Hochland. Sie betont, wie wichtig es sei, die Jugendlichen langfristig zu begleiten.
Das sieht Trainer Klaus Herbst, Jahrgang 1967, der früher bei der Polizei gearbeitet und die Montessori-Schule in Oberstaufen mitbegründet hat, ähnlich. Er gibt den rund 20 Schülern aller Jahrgangsstufen, die aufgeteilt in zwei Gruppen am Kurs teilnehmen, nicht nur handfeste Hilfestellung, sondern macht ihnen auch klar, welche Folgen eine Schlägerei haben kann.
'Der eine kommt vor Gericht, der andere muss ins Krankenhaus', hat Patrick gelernt. Und Dennis weiß, dass er bei der Selbstverteidigung dem Angreifer nicht mehr antun darf, als dieser ihm. 'Richtig.
Das ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel', bestätigt Herbst, der sich auch immer wieder Zeit nimmt, um mit den Schülern, die im Alltag entweder selbst Täter oder Opfer sind oder waren, über deren Probleme zu reden. Toleranz und Verständnis füreinander sollen gelehrt, das persönliche Durchhaltevermögen und das Selbstbewusstsein gestärkt werden – wie bei Patrick im Schulbus.