Das Kutschenmuseum bei Hinterstein hat Martin Weber wie einen Traum in Szene gesetzt:'Im tiefen Wald von Hinterstein, da liegt, wie soll es anders sein, ein Platz unheimlich schön. Hier kann man Wundervolles seh’n.' (Gedicht im Kutschenmuseum) Bad Hindelang. Der Schnee knirscht unter den Füßen. Es ist klirrend kalt. Vom Parkplatz Hinterstein in Richtung Giebelhaus zeigt ein unscheinbares Holzschild nach rechts zum "Kutschenmuseum". Wohnhäuser und Holzstadel bleiben zurück. Über die glasklare Ostrach führt eine überdachte Holzbrücke. Eine Holzschuppen-Burg schmiegt sich an den sanft zum Fluss abfallenden Hang. Ein Hirsch aus Bronze mit mächtigem Geweih schaut unverwandt den Ankommenden entgegen. Man ist am Ziel.
Wie Alice durch den Kaninchenbau so fällt man durch eine Schwingtür in ein Wunder-Märchen-Land. In einem tunnelartigen Gang geht es auf Teppichen bergab. Rehkitze, Käuze, Iltisse, die auf Moos gebettet oder auf Äste drapiert sind, schauen zu. Dann ist man eingefangen von sphärischen Klängen und steht mitten in einer Szene, so als wenn man plötzlich auf die Bühne geschubst wird, auf der ein russisches Märchen gegeben wird.
In einer schwarzen Kutsche sitzt ein Paar, gekleidet in edle Pelze. Die Frau lehnt sich sehnsuchtsvoll an den Mann. Jede Menge Kunstschnee ist über die Szene verteilt. Man hört ein Bächlein rauschen. Tiere begleiten die Kutschgesellschaft durch den Winterwald. An den Wänden Spiegel und Spiegelscherben. Spiegelkugeln verteilen Lichtpunkte, so dass Bewegung in die Standbilder kommt.
Und doch ist alles erstarrt und leblos. Ein Todesreich. Hier scheint die Welt stillzustehen. 'Lass Verstand und Mund hier schweigen, so können Träume sich ereignen', hatte ein Schild dem Besucher am Eingang geraten. Überflüssigerweise. Man traut sich hier eh nicht, laut zu sprechen. Zu gefangen ist man von der eingefrorenen Schönheit.
Mit wohligem Schauer öffnet man die nächste Tür oder lugt vorsichtig um die nächste Ecke. Das Fortbewegen von Raum zu Raum, von Szene zu Szene ist ein bisschen wie Geisterbahn fahren. Die Dinge sind zum Greifen nahe, aber aus Angst, sie zum Leben zu erwecken, versucht man jede Berührung zu vermeiden. Längst ist vergessen, dass man sich in Holzschuppen aufhält.
In den Gängen Begegnungen mit Rehen, Wildschweinen und ihren Frischlingen, einem Bären, einem Klausen, Greifvögeln und als Cowboy, Skifahrer oder Gentlemen in Frack und Zylinder verkleideten Schaufensterpuppen.
Hier werden Emotionen erzeugt
Vor 27 Jahren eröffnete Martin Weber sein Kutschenmuseum. Die Kutschen, Schlitten und Bestattungswagen, die der studierte Theologe und Malermeister über die Jahre zusammengetragen hat, sind hier allerdings eher Beiwerk. Das Kutschenmuseum Hinterstein ist die Inszenierung eines Märchentraums. Ein Zauberreich. Ein Sehnsuchtsort, vielleicht. Hier werden Emotionen erzeugt. Es ist ein Ort, der niemanden kalt lässt. Einer, der polarisiert. Entweder man findet es hier heimelig oder unheimlich. Nur der Pragmatiker könnte mäkeln: Na ja, etwas überladen.
Das Kutschenmuseum ist eben auch eine Menagerie von Kunst und Krempel, von Tierpräparaten und Schaufensterpuppen. Lüster, alte Gemälde, Felle, massenhaft Keramik und kiloweise Moos sind sorgsam arrangiert.
Webers neueste Errungenschaft ist eine Bestattungskutsche, erbaut zwischen 1740 und 1780 in Wien. Sieben Helfer und zwei Stunden habe er gebraucht, um den gut eine Tonne wiegenden Koloss über die Brücke an ihren Platz zu befördern. Die Gemeinde Bad Hindelang ist dafür nicht zuständig. Denn das Kutschenmuseum ist eine Privatsache von Martin Weber. Fragt man in der Kurverwaltung nach dem Museum, hält man sich mit Informationen zurück. Martin Weber sei ein 'scheuer Mensch' heißt es und: 'Der redet eh mit niemandem.'
Nun, der angeblich so scheue und schweigsame Betreiber des Kutschenmuseums lässt sich mit dem Auto abholen, weil er heute die Strecke von seinem Wohnort Sonthofen bis Hinterstein ausnahmsweise nicht mit dem Fahrrad fahren mag und lädt zum Kaffee nach Hause ein.
Martin Weber, der in diesem Jahr 50 Jahre alt wird, erzählt viel. Er erzählt von früher. In Hinterstein sei er aufgewachsen. Arm seien sie gewesen. Acht Kinder. Außenseiter war er schon immer. Da musste er sich was einfallen lassen, um Beachtung zu finden. Prinzessin Hella von Bayern, die in Hinterstein einen Landsitz bewohnt, habe ihn sehr gefördert, ihn an die Hinterglasmalerei, überhaupt an Kunst herangeführt. Mit 16 oder 17 habe er mit dieser Malerei und Kutschfahrten sein erstes Geld verdient und damit das Grundstück mit einem Schuppen samt Kutsche gekauft.
Die Leute fühlten sich auf ihren Spaziergängen von ihm und seinem Refugium eingeladen. 'Meine Mutter hat damals scherzhaft gesagt: 'Mach doch gleich ein Museum auf’', erzählt Weber. Und das hat er getan.
Eine weitere Besonderheit dieses Kutschenmuseums sind die Öffnungszeiten: Es ist rund um die Uhr zu besichtigen. Nächtliche Fackelwanderungen zum Museum werden vor allem unter Jugendlichen als Geheimtipp gehandelt. 'Mal bleibt eine Bierflasche drin stehen, aber sonst gibt es keine Zerstörung', sagt Weber, der so gut wie jeden Tag einmal nach dem Rechten schaut und Kleinigkeiten umbaut. Viele Besucher kommen mehrmals, zu den unterschiedlichsten Tages- und Jahreszeiten. Zwischen 50 000 und 60 000 seien es jedes Jahr, schätzt er.
Für manche ist es Pilgerstätte
Für manche scheint es so etwas wie eine Pilgerstätte zu sein. 'Das Kutschenmuseum ist eine Kur für die Seele' ist im Gästebuch zu lesen. Für das Bedürfnis nach Andacht hält das Museum auch eine Grotte bereit. Um da eintreten zu können, wünscht man sich die Schrumpfungsfähigkeit von Alice. Doch im Inneren kann man wieder stehen. Eine Madonnenfigur, links eine Bank mit Fellen, rechts ein Steinberg mit vielen Kerzen. Kunstblumen. Vogelgezwitscher. Panflötenmusik. Und wieder Spiegel. 'Es ist wirklich toll hier. Wie in einer anderen Welt', schreiben Besucher aus dem Ruhrgebiet. 'Einfach ein Märchen', steht an anderer Stelle.
Wenn man vom Gästebuch aufblickt, schaut man direkt in die Augen eines Ziegenbocks mit gewaltigen Hörnern. Überhaupt fühlt man sich beobachtet, immer und überall in diesem Spiegelkabinett der Kuriositäten. Und man geht hinaus mit dem Gedanken: Jetzt will ich aber auch wissen, wie es im Sommer dort ist.
Das Kutschenmuseum Hinterstein ist ganzjährig geöffnet, offiziell von 8 bis 20 Uhr. Ab dem Parkplatz Hinterstein ist es ein Fußmarsch von etwa 15 Minuten (für Rollstuhlfahrer und Kinderwagen allerdings nicht möglich). Es ist kostenlos, aber es werden Spenden erbeten.