Es gibt Baby-Massage, Baby-Schwimmen, Pekip, Krabbelgruppen, musikalische Früherziehung, Englisch für Kinder ab Zwei und Schopenhauers Philosophie für Fünfjährige. Letzteres zugegebenermaßen nicht im Oberallgäu, sondern nur in großen Städten. Aber die Frage: "Wie erziehe und fördere ich mein Kind richtig?", bewegt die Eltern in Missen-Wilhams genauso wie in München. In der kleinen Gemeinde im Oberallgäu feiert der Kindergarten am Sonntag 25-jähriges Bestehen. Kinderpflegerin Roswitha Elgaß arbeitet dort seit 20 Jahren. Sibylle Mettler hat mit ihr über den Wandel in der Erziehung gesprochen.
Frau Elgaß, was hat sich am stärksten verändert?
Elgaß: Auf die Eltern strömen viel mehr Angebote und Informationen ein als früher. Da gibt es musikalische Früherziehung, da Englisch-Kurse. Die Eltern sind zum Teil verunsichert über das richtige Maß solcher Angebote.
Wie fördere ich ein Kind denn Ihrer Meinung nach richtig?
Elgaß: Wichtig ist, dass das Kind Geborgenheit fühlt. Dass man viel mit ihm spricht und singt. Dass es feste Bezugspersonen hat. Das kann, muss aber nicht nur die Mutter sein. Heute gibt es viele, die sich sehr damit beschäftigen, nichts falsch zu machen. Ich will niemanden kritisieren, der mit seinem Kind einen Kurs besucht. Aber viele geben die Verantwortung, mit den Kleinen zu singen und zu spielen, ab und hören nicht mehr auf ihr eigenes Gefühl.
Eltern meinen, sie tun dem Kind mit den Aktivitäten etwas Gutes. Aber sie vergessen, dass sie es selbst in der Hand haben, sich mit ihm zu beschäftigen. Der Kontakt ist wichtig, nicht ein Lied auf einer CD.
Wie äußert sich das im Kindergarten?
Elgaß: Es gibt viele Kinder mit Sprachauffälligkeiten und Wahrnehmungsstörungen. Das kommt nicht von ungefähr. Die Kinder sind unruhiger, können sich weniger konzentrieren und sagen schnell, dass ihnen langweilig ist. Wenn sie Defizite haben, werden sie speziell gefördert. Das ist dann aber wieder Programm für sie.
Sind Kinder, die all diese Förderkurse besucht haben, schlauer?
Elgaß: Die Kurse können in der Entwicklung helfen, aber nur mit Maß und Ziel. Wenn jeder Nachmittag verplant ist, bringt das nichts.
Zeigen besonders geförderte Kinder schon Zeichen von Stress?
Elgaß: Die vielen Aufmerksamkeits-Störungen zeigen, dass die Kinder überfordert sind. Das kann ein Zeichen für Stress sein.
Was hat sich in den vergangenen 20 Jahren in Ihrer täglichen Arbeit im Kindergarten geändert?
Elgaß: Die Kinder sind interessierter und weiter entwickelt als früher, weil sie mehr von der Umwelt mitbekommen. Früher hat man ihnen etwas übergestülpt, heute wird es erarbeitet. Wir zeigen ihnen, wie man etwas lernt. Wir hatten beispielsweise ein Projekt, das sich über Monate zog und in dem es um Hören, Schreiben und Lesen ging.
Es sind aber auch die Erwartungen der Eltern gestiegen. Wir wurden schon gefragt, warum wir im Kindergarten kein Englisch unterrichten. Dabei ist es erwiesen, dass das einmal pro Woche gar keinen Effekt hat, weil die Kinder es bis zur Schule wieder vergessen. Wir singen zwar mal ein englisches Lied mit ihnen. Die Kinder sollen erfahren, dass es andere Sprachen und Kulturen gibt, müssen aber noch keine Fremdsprache erlernen.
Aber in der Frage, wie man sein Kind erziehen soll, hat sich dann ja gar nicht so viel geändert.
Elgaß: Nein, eigentlich nicht. Man sollte ein Kind darin unterstützen, wo es Spaß hat, rausgehen in die Natur und ihm Geborgenheit geben. Das ist das wichtigste.