Er geht leicht gebeugt, aber festen Schrittes. Er trägt ein Hörgerät, aber es entgeht ihm kein Wort. Er kann seine tiefen Furchen im Gesicht nicht verbergen, aber wenn er sein verschmitztes Lächeln zeigt, wirkt er wie ein gewitzter Lausbub.
Mit seinen 81 Jahren schafft es Heiner Geißler noch immer mühelos, dass ihm die Unternehmer und Führungskräfte in der Tagungs- und Eventbühne Kimratshofen stundenlang an den Lippen hängen. Und wenn Geschäftsführer Rolf Birmelin eine Pause ankündigt, scheinen sie Geißlers Zuhörer nötiger zu haben als der alte Herr selbst. Einen ganzen Trainingstag gestaltet der frühere CDU-Generalsekretär für den illustren Kreis, ohne jede Ermüdungserscheinung, ohne Konzentrationsprobleme. Seine Neugier ist immer noch schnell geweckt: 'Ich wollte mal sehen, was es im Allgäu in Wald und Wiese an Höhepunkten der Intelligenz gibt', erklärt er sein Kommen. Die Frage, warum er solche Strapazen noch auf sich nimmt, beantwortet er mit großem Ernst: 'Wenn man überzeugen will, dann muss man gegenüber wichtigen Meinungsträgern und Multiplikatoren argumentieren.'
An Argumenten zum Thema 'Mehr Demokratie in Politik und Unternehmen' fehlt es dem Grandseigneur politischer Redegeschliffenheit nun wirklich nicht. Auch wenn dann fast ausschließlich von Bürgerbeteiligung bei Großprojekten in der Politik die Rede ist, lässt Geißler keinen Zweifel daran, dass die gleichen Grundsätze für die Unternehmenskultur gelten sollten.
Wie ein roter Faden durchzieht eine Grundüberzeugung die Argumentation des einstigen Familienministers: 'Wir können auf eine Bürgerbeteiligung nicht mehr verzichten, sonst sind solche Großprojekte wie Stuttgart 21 nicht mehr realisierbar.' Warum das so ist, erklärt Geißler so: Die Menschen hätten das Vertrauen in die Politik verloren, weil sie dem kapitalistischen Wirtschaftssystem misstrauten.
Es gebe keine soziale Marktwirtschaft mehr und die Politiker seien nicht in der Lage, sich gegen undurchsichtige internationale Finanzmärkte durchzusetzen. 'Die Akzeptanz fehlt, wenn die Bürger meinen, dass ein Projekt nicht in ihrem Interesse ist, sondern ökonomische Interessen dahinterstehen.'
Um Misstrauen abbauen zu können, gebe es nur ein Hilfsmittel: 'totale, transparente Information', formuliert der 81-Jährige. Dass sich das ökonomische System von der politisch national organisierten Ordnung abgekoppelt habe und global geworden sei, sei ein nicht vermeidbarer Fehler gewesen, 'denn wir haben keine Weltregierung'. Für Geißler bedeutet das nicht, 'dass wir die Flinte ins Korn werfen müssen'.
Vielmehr gelte es, das zu langwierige Bau- und Planungsrecht zu ändern und die repräsentative Demokratie durch Bürgerbeteiligungen wie in der Schweiz zu ergänzen.
Den Einwand, die Bürger hätten womöglich weder die Zeit noch das Interesse, sich intensiv mit komplizierten Themen auseinanderzusetzen, lässt Geißler nicht gelten: 'Die Leute sind heute in unserer Mediendemokratie politisch gebildet, denen kann man nicht ein X für ein U vormachen.'
Das Ziel Geißlers, Bürger (und Arbeitnehmer) an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, scheint beim Publikum anzukommen: 'Wir müssen lernen, Entscheidungsprozesse so einzufädeln, dass sie Akzeptanz finden', zieht zum Beispiel Roland Zeuschner von Hochland Natec sein Resumée.