Radio ist überflüssig, Durchsagen am Bahnhof helfen nicht weiter, selbst der Feueralarm verhallt im Nichts. Was es bedeutet, keine Geräusche wahrnehmen zu können, ist für Hörende kaum vorstellbar. Eine Gruppe von Allgäuer Betroffenen unterstützt sich gegenseitig, diese Probleme zu bewältigen. 'Wir sind eine kleine Gemeinschaft', sagt Monika Proksch. Vor zehn Jahren hat sie gemeinsam mit ihrem Freund Hubert Kindle die Gehörlosen-Sportgruppe beim TV Kempten gegründet, zu der jeden Dienstagabend Gehörlose aus allen Teilen des Allgäus anreisen. Die 16 Mitglieder machen aber viel mehr gemeinsam als nur Sport: Sie gehen auf Städtereisen, veranstalten Turniere und Spieleabende oder treffen sich, um einfach zusammen zu sein.
In der Sporthalle der Kemptener Lindenbergschule ist es ungewohnt ruhig. Kein Gequatsche, kein Geschrei, kein Gelärme: Nur der Volleyball, wenn er auf den Boden fällt, und das Quietschen der Turnschuhe auf dem Hallenboden durchbrechen die Stille. Um auf sich aufmerksam zu machen, stampfen die Sportler auf den Boden. Anstatt zu klatschen wedeln sie in Kopfhöhe mit den Händen.
Auch einen Schiedsrichter mit Trillerpfeife brauchen sie nicht. Der Punktestand wird durch Gebärden mitgeteilt. Bei Fehlern wird gelacht. Und bei Punkten wird gelacht. Richtig viel gelacht wird in der kleinen Sporthalle.
Das Leben in einer Kommunikationsgesellschaft ist für die Gehörlosen allerdings nicht leicht. 'Viele Menschen haben Berührungsängste, weil sie nicht wissen, wie sie mit uns umgehen sollen', berichtet Proksch. Den Hörgeschädigten fällt auch das Sprechen schwer, manche bringen nur undeutliche Laute hervor. 'Das verunsichert die Leute', sagt sie. Oft werden die Gehörlosen belächelt, 'dabei sind wir nicht dumm, sondern hören einfach nur schlecht', sagt Andrea Mettke. Oder sie können gar nicht hören. Alle der 16 Mitglieder arbeiten, viele haben studiert.
Seit ihrer Geburt ist Monika Proksch hörgeschädigt. Die starken Medikamente, die ihre Mutter während der Schwangerschaft einnehmen musste, haben fast alle Haarzellen in ihren Ohren zerstört. 'Ich hatte kein Selbstbewusstsein und habe kaum gesprochen', erzählt die 46-Jährige von der Zeit vor den neuen Implantaten. Die dunklen Geräte fallen in Prokschs’ kurzen, schwarzen Haaren kaum auf. 'Wie neugeboren', hat sie sich gefühlt, als sie vor acht Jahren das erste Implantat erhalten hat. Sie musste lange darum kämpfen. Eine richtige Geräuschflut ist seither über sie eingebrochen. Seit ihr vergangenes Jahr auch das Zweite eingesetzt wurde, verfügt sie über 92 Prozent der normalen Hörfähigkeit. Ohne die Implantate hört sie so gut wie nichts.
'Die Mimik ist sehr wichtig'
Der erste Satz des Spiels ist vorbei. Die Spieler nutzen die Pause, sich gegenseitig die Neuigkeiten der vergangenen Woche mitzuteilen. Die Arme bewegen sich eifrig auf und ab, die Hände formen Zeichen und auch die Gesichtsmuskeln sind besonders aktiv. 'Die Mimik ist für uns sehr wichtig', sagt Proksch. Das führe häufig zu Missverständnissen mit Hörenden, die diese Art der Unterhaltung weniger nutzen, und dadurch auf Gehörlose schnell unhöflich wirken. Dabei ist Kommunikation für die 34- bis 48-jährigen Allgäuer Sportler besonders wichtig.
Das Fehlen des Hörsinns erfordert Verzicht: Konzerte, Theater, Kino, Fernsehen – das alles ist ohne Ton nicht halb so spannend. Untertitel gibt es beispielsweise nur bei den wenigsten Filmen. Dass Gehörlose bald trotzdem Rundfunkgebühren zahlen sollen, kann Kindle, der einzige in der Gruppe ohne Hörprobleme, nicht verstehen: 'Sie geben doch schon so viel Geld für DVDs mit Untertiteln aus.'
'Ich mag Gehörlose, weil es da immer ruhig zugeht', sagt Kindle und meint damit nicht nur die dezente Geräuschkulisse, sondern auch die Harmonie untereinander. 'Die Hörenden sind komplizierter.' Er vermutet, dass das an der einfacheren Kommunikation liegt. Für seine Freundin hat er die Gebärdensprache gelernt. Mittlerweile beherrscht der 48-Jährige sie sehr gut.
Leicht war das für ihn aber nicht: 'Ich habe vier Jahre gebraucht und lerne auch heute immer noch dazu.'