Da steht er also wieder. Vor Selbstbewusstsein strotzend, die Gosche groß, der Humor primitiv. An diesem verregneten Samstagabend zum fünften Mal im ausverkauften Olympiastadion, zum beinahe zehnten Mal in München überhaupt. Und die Massen fiebern auch dieses Mal wieder mit. Fiebern seit über 20 Jahren mit, wenn Robbie da ist. Fiebern mit, obwohl es fast den ganzen Abend lang schüttet – und obwohl Robbie eigentlich seit Jahren keinen Hit mehr hatte. Aber stört das überhaupt?
Dabei ist es ja nicht so, als hätte es in den vergangenen Jahren keine neue Musik gegeben. Oder keine neue folgen würde. Robbie, seit nun einigen Jahren angegraute Haare, cool mittig hoch gegelt, beginnt die Show genau damit. Tritt im Astronautenanzug zu Raketengeräuschen auf einem Funken sprühenden Bogen, um schließlich kopfüber abzuheben und mit „Rocket“ zu starten. Der relativ schnelle und rockige Song ist Teil des im Herbst erscheinenden Albums “Britpop”, wie auch der Name der Tour lautet.

Robbie Williams in München: „Entertainment“ lautet die Mission des Abends
Doch erst danach folgt mit “Let Me Entertain You” im rot-glitzernden Sportanzug der eigentliche Auftakt der Show. Oder zumindest beginnt das, wofür ein Großteil der rund 70.000 Menschen im Olympiastadion gute zwei Stunden lang wohl da ist. Einerseits: die alten Klassiker, mit denen der Brite Ende der Neunziger, Anfang der 2000er die größten Erfolge erlebte. Und andererseits das, was auch Robbie nicht müde wird zu betonen. “Heute geht es um eine Sache”, stellt er direkt zu Beginn klar. „Mein Traum ist es, der beste Entertainer auf dem Planeten zu sein”. Michael Jackson sei der King Pop – er der King of Entertainment.
Im Laufe des Abends fällt das Stichwort immer wieder. Und es ist genau das, was das Stadion füllt. Der 51-Jährige wirkt topfit und ausgeruht, sein “tropfendes linkes Nasenloch” ist nicht mehr als das. Er schiebt immer wieder eigene Moves ein, sucht die Nähe zum Publikum. Ist laut und präsent und voller Energie.
Robbie lässt das Münchner Olympiastadion mit Popklassikern mitsingen
Kernbestandteil seines Entertainments: immer wieder verschiedene Cover, verschiedene Medleys. Schon nach den ersten paar Songs und der Begrüßung (“Habt ihr mich verdammt nochmal vermisst?”) geht es los mit „Song 2“ von Blur, dann „Seven Nation Army“. Das Publikum anheizen, animieren, mit anderen mitgrölbaren Pophymnen der vergangenen Jahrzehnte – es funktioniert. Wie halt auch auf dem Volksfest. Das Meer aus bunten Regenjacken und Ponchos hallt singend zurück. Auch, wenn man sich im letzteren Teil des Konzerts über mehr Robbie (“Come Undone“ fehlte ganz in der Setlist) und über weniger „YMCA“, Frank Sinatra und Journey gefreut hätte.
Dann ist da noch die andere Seite, die einfach immer noch funktioniert: Robbie Williams, wie er leibt und lebt. Exzentriker, Charmeur. Er lässt den Blick durch die Menge schweifen. Entdeckt einen Fan, „mit dem er wohl in den 90ern was hatte“. Bloß: „Habe ihn fast nicht erkannt, jetzt hat er einen Bart.“ Nimmt eine Gruppe im Publikum aufs Korn, die nach den ersten drei Songs die Tribünentreppe zu den Plätzen hinunterhetzt. „Ihr seid zu spät. Ihr habt „Angels“ und „Rock DJ“ schon verpasst. Gute Nacht!“
Beim Konzert im Olympiastadion geht es nicht ohne Peniswitz
Und immer auch eine Prise Selbstironie. Robbie erweckt eine 17-jährige KI-Version von sich auf dem großen Bildschirm zum Leben und stellt ihm die „verdammt langweilige“ Frage, die ihm in Interviews so oft gestellt werde, aber anscheinend seine Berechtigung hat: „Welchen Rat würdest du deinem früheren Ich geben?“ Seine Antwort: klar, weiterhin keinen Alkohol zu trinken oder Drogen zu nehmen. Immer wieder spricht er die vergangenen Zeiten mit den persönlichen Abgründen auch ganz ernst gemeint an. Spricht über Depressionen und seine Ängste. Er macht dem Publikum bewusst, dass all das auch anders hätte ausgehen können. Dass es nicht selbstverständlich ist, dass einer wie er, der mehrere Entzüge durchgemacht hat, heute immer noch Stadien füllt.
Immer wieder, zum ersten Mal vor einem vor Handytaschenlampen glitzerndem Olympiastadion bei „Love my life“, spricht Robbie auch von seiner Familie. Er erzählt von seiner Frau Ayda Field, mit der er seit 15 Jahren verheiratet ist, und von seinen vier Kindern. „Die Kinder haben nicht den Popstar gerettet. Sie haben den Menschen gerettet.“ Typisch pubertär für ihn dann aber auch, was Robbies jüngeres Ich vom Bildschirm den Robbie von heute fragt. „Haben wir eigentlich immer noch einen kleinen Penis?“
Publikumsliebling „Angels“ als „Fucking Anthem of Oktoberfest“
Als er nach dem einfühlsamen und zugleich schlagerelementartigen „The Road to Mandalay“ (“als ich den Song geschrieben habe, dachte ich mir schon: The fucking Germans will love it“) „Angels“ anstimmt, ist der erwartbare Höhepunkt des Abends schon fast erreicht. Eigentlich steht das Lied als Rausschmeißer auf der Setlist. Doch München singt die „National Anthem of fucking Oktoberfest“ alleine, im Chor, textsicher. Er weiß, dass er darauf als musikalischen Magneten setzen muss. Mit „Ich spiele jetzt einen neuen Song. Macht euch aber keine Sorgen“, kündigt er „Spies“ später vom neuen Album an. „Ich weiß, dass die meisten von euch denken: Don‘t fucking do that.“ Dem Energielevel im Stadion tut zu diesem Zeitpunkt der rockige, gitarrenlastige Song, der mitwippen lässt, zumindest keinen Abbruch.
Gekommen sind die Leute aber schließlich für das hier: Das romantische „She‘s the One“, das Robbie alleine auf der Bühne, auf einem Hocker sitzend, mittlerweile im strömenden Regen, für Julia aus Franken in der ersten Reihe singt. Für ein krachendes „Feel“ im weißen Glitteranzug und schließlich „Angels“. Für die Unterhaltung, den Eskapismus, die Nostalgie, für die alten Hits.
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