Eine schwarze Limousine mit kleiner Polizei-Eskorte gleitet an einem goldenen Spätsommertag durch eine Allee. Auf dem Rücksitz ein Mann mit maskenhaft verschlossenem Gesicht. «Und wer ist schuld, wenn es schiefgeht?», sagt er plötzlich. Sein Mitarbeiter hält ihm entgegen: «Das fragen Sie doch auch sonst nicht, Herr Bundeskanzler.» So beginnt der unbedingt sehenswerte Fernsehfilm «An einem Tag im September». Er zeichnet das erste Zusammentreffen von Konrad Adenauer mit Ministerpräsident Charles de Gaulle in dessen Privathaus im Nordosten Frankreichs nach.
Zu sehen ist das Historiendrama im ZDF-Streamingportal und linear im Fernsehen bei Arte am 12. September und im ZDF am 15. September, jeweils um 20.15 Uhr. Im ZDF-Streamingportal kann man es vorab sehen.
Adenauer graute vor dem Besuch. Der erste Kanzler der Bundesrepublik verband mit dem französischen General ausschließlich Negatives: Kurz nach dem Krieg hatte dieser Deutschland in mehrere Teilstaaten zerstückeln wollen, dann hatte er die geplante Europäische Verteidigungsgemeinschaft torpediert und immer wieder das europäische Einigungsprojekt als Verrat an französischen Interessen angegriffen.
Am Anfang verfährt sich Adenauer in Frankreich
Dennoch fanden der Deutsche und der Franzose an diesem 14. September 1958 auf einer persönlichen Ebene zusammen. Und eben das schildert der Film von Kai Wessel. In den hervorragend besetzten Hauptrollen glänzen Burghart Klaußner als Adenauer und Jean-Yves Bartelt als de Gaulle. Klaußner hat aus den Dreharbeiten mitgenommen: «Man bekommt durch den Film und die Beschäftigung mit dem Stoff eine Ahnung davon, wie viel wichtiger persönliche Beziehungen in der Politik sein mögen als wir uns gemeinhin vorstellen.»
Über den Ablauf der Begegnung sind einige Details bekannt: Adenauer verspätete sich, weil seine kleine Wagenkolonne zunächst irrtümlich nicht de Gaulles Wohnort Colombey-les-Deux-Eglises ansteuerte, sondern das etwa 100 Kilometer entfernte Colombey-les-Belles. Als der Kanzler schließlich eintraf, ging de Gaulle sofort auf ihn zu, schüttelte ihm die Hand und sprach Deutsch.
Denn er war im Ersten Weltkrieg zweieinhalb Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen. Allerdings waren seine Kenntnisse mittlerweile etwas eingerostet. Statt «Wie geht es Ihnen?» fragte er seinen Gast: «Wie gehen Sie?» Woraufhin dieser verdutzt erwiderte: «Zu Fuß.» Die Anekdote wird heute noch gern vom ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zum Besten gegeben.
Wann genau es zwischen den beiden höchst unterschiedlichen Männern an jenem Tag klickte, kann kein Historiker mit Sicherheit sagen. Vermutlich spielte ihr gemeinsamer katholischer Glaube eine Rolle, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem abendländischen Erbe, das zurückging auf das Reich Karls des Großen.
Auch teilten beide Staatsleute bei allem Machtkalkül ethische und demokratische Grundüberzeugungen, die sie auch im Krieg und unter dem Druck der NS-Diktatur nicht preisgegeben hatten. Gleichwohl stand Drehbuchautor Fred Breinersdorfer vor der Aufgabe, die vorhandenen Lücken zu füllen und eine Dramaturgie für seinen 90-Minuten-Film zu finden.
Er schmückte dafür unter anderem die Geschichte von de Gaulles Köchin Louise aus, die sich damals dagegen sträubte, für die verhassten Deutschen zu kochen. Und er erfand zwei junge Journalistinnen, die für die Zukunft und die Visionen der Jugend stehen sollen.
De Gaulles Ehefrau Yvonne bricht das Eis
Vor allem aber baute Breinersdorfer den Part von de Gaulles Ehefrau Yvonne, dargestellt von Hélène Alexandridis, aus. Im Film ist es letztlich sie, die das Eis zwischen de Gaulle und Adenauer bricht, indem sie das Gespräch auf Schicksalsschläge aus ihrem Privatleben lenkt. All diese Einfälle des Autors kommen dem Film zugute.
In einem Punkt allerdings wird die Geschichte dann doch verzerrt. Der Film erweckt den Eindruck, als wären Deutsche und Franzosen erst im Jahr 1958 in Gestalt von Adenauer und de Gaulle erstmals daran gegangen, das beiderseitige Verhältnis zu kitten. Das ist falsch. Anders als im Film dargestellt, bewarfen französische Dorfbewohner Adenauers Limousine nicht mit Eiern, sondern winkten ihm freundlich zu.
Denn vor de Gaulle hatten eben schon zwei andere große Franzosen dem «Erbfeind» die Hand gereicht: Jean Monnet und Robert Schuman, die Architekten der 1951 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, des Vorläufers der heutigen Europäischen Union. Und 1957 waren die Römischen Verträge unterzeichnet worden, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begründeten. Ermöglicht hatte das eine enge Zusammenarbeit Adenauers mit dem damaligen französischen Ministerpräsidenten Guy Mollet, der heute zu Unrecht völlig vergessen ist.
Ein Europafreund war de Gaulle in Wahrheit nicht
Dass de Gaulle ein erklärter Gegner der EWG war, weil er in überstaatlichen Institutionen wie der Brüsseler Kommission und dem Europäischen Parlament eine inakzeptable Beschneidung französischer Souveränität sah, klingt im Film nur ganz am Rande an. Der Abschluss des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags war 1963 hochumstritten, weil ihn de Gaulle als Grundlage einer strategischen Allianz begriff, die Frankreich dank des wirtschaftlichen Gewichts der jungen Bundesrepublik zu alter Größe zurück verhelfen sollte. Um dem entgegenzuwirken, stellte der Bundestag dem Vertrag ein klares Bekenntnis zu USA und Nato voran - de Gaulle kochte vor Wut.
Dies schmälert nicht sein historisches Verdienst, die gerade erst begonnene Annäherung zwischen den beiden ehemals verfeindeten Nationen zur engen Partnerschaft ausgebaut zu haben. Der Film feiert das völlig zurecht. Zwei alte Männer sind damals aufeinander zugegangen, so schwer es ihnen auch fiel. Millionen Menschen profitieren bis heute davon.




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