Auch im Oberallgäu gibt es zahlreiche Sportlerinnen und Sportler mit Handicap. In einer Serie stellen wir Menschen vor, die mit Sport wieder zurück ins Leben gefunden haben und denen regelmäßige körperliche Aktivität ein Stück Lebensqualität gibt. Er saß vor seinen Schülern auf dem Stuhl. Als er aufstehen wollte, ging es nicht: 'Ich hatte keine Kraft in den Beinen, nur Schmerzen.' Damals, vor vier Jahren, leitete Stefan Bauch (52) eine Trainerausbildung. Und es war das erste Mal, dass sein Körper rebellierte und ihn zur Untätigkeit zwang. Bauch musste die Ausbildung abbrechen, ließ sich von seiner Frau Petra abholen. Er startete mit den Hunden Chester und Balou eine Runde um den Sonthofer See, der in der Nähe seiner Wohnung liegt. Normalerweise braucht der trainierte Marathonläufer dafür 40 Minuten. An diesem Nachmittag wurden es anderthalb Stunden. 'Ich konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen.'
Bauch hatte keine Erklärung für den plötzlichen Ausfall, vermutete irgendein muskuläres Problem. Am nächsten Tag suchte er einen Arzt auf. Dieser stellte zahlreiche Untersuchungen an, konnte aber nichts finden. Obwohl der Patient auch von Schlafstörungen und durchschwitzten Nächten berichtete. Bauch begann selber nachzuforschen, stieß alsbald auf die Symptome eines 'Burn-out'. 'Ich brauche Ruhe', verordnete er sich selbst eine Therapie.
So viele Aufgüsse wie möglich
Er kaufte sich eine Dauerkarte fürs Schwimmbad, ging mehrmals in der Woche in die Sauna. 'Das hat gut getan.' Bis irgendwann seine Frau Petra mitging, 'zum Glück', sagt Bauch heute. Denn sie war leicht entsetzt, als sie sah, wie ihr Mann die Sauna nutzte: Innerhalb von zwei Stunden 'gönnte' er sich so viele Aufgüsse wie möglich. Denn das war seine Triebfeder: 'Das Maximale aus mir herausholen.' Petra habe nur gemeint: 'Was machst du da?'
Daraufhin habe er das Saunaprogramm runtergefahren und begonnen, die Zeiten zu genießen, einfach dazuliegen oder eine Massage zu buchen. Es ging ihm wieder besser. Und er machte weiter wie bisher. Stellte die höchsten Ansprüche an sich, pflegte einen gnadenlosen Perfektionismus. Er nennt ein schönes Beispiel dafür. Während seiner eigenen Ausbildung zum Trainer gab es eine 'Sonderaufgabe': Schillers 'Glocke' auswendig zu lernen und vorzutragen. Allerdings, so der Lehrer, reiche das halbe Gedicht. Für Bauch war natürlich klar: 'Wenn schon, dann ganz.'
Woher rührt dieser hohe Selbstanspruch? Ein Blick zurück. Stefan Bauch wurde in Bonn geboren. Seine Eltern wollten ihn auch musikalisch fördern und meldeten ihn zum Violinunterricht an.
Der Weg zum Lehrer führte am Rhein entlang, und plötzlich blieb der elfjährige Bub wie gebannt am Ufer stehen, fasziniert von den Sportlern, die in ihren Booten den Fluss hinauf und hinunter paddelten. Zum ersten Mal nahm er bewusst die fließenden und kraftvollen Bewegungen wahr, vielleicht sensibilisiert durch die Olympischen Spiele, die in jenem Jahr in Deutschland stattfanden.
Der kleine Stefan schaute den Kajaks und Kanadiern zu, bis die 'Violinstunde' beendet war und er wieder nach Hause konnte. Das ging ein paar Wochen so, bis dann der Geigenlehrer bei den Eltern anrief und wissen wollte, wo eigentlich der Stefan bleibe. Ein richtiges Donnerwetter gab es nicht, die Eltern, so Bauch, seien eigentlich ganz froh gewesen, dass der Sohn etwas gefunden hatte, was ihn richtig interessierte. Denn Fußball, für viele seiner Kameraden das ideale Freizeitvergnügen, hat ihn nicht gereizt: 'Auf einem staubigen Platz rumrennen wollte ich nie.' Wasser dagegen 'ist mein Element, heute noch.'
Stefan, ein guter Schwimmer, wurde Mitglied im Wassersportverein 'Blau-Weiß Bonn', kurze Zeit später folgte sein jüngerer Bruder Hubert. Sie paddelten in Kajaks, nahmen an Wettbewerben teil, waren aber wenig erfolgreich. Dann stiegen die Brüder auf den Zweier-Kanadier um, der kniend mit einem Stechpaddel bewegt wird. Und gleich beim ersten Rennen - auf der Wiehl bei Gummersbach - landeten sie auf dem Treppchen. 'Offensichtlich haben wir gut harmoniert.'
Die Brüder Bauch starteten damit eine Erfolgsgeschichte. Sie gewannen zwar nicht jedes Rennen, aber 1983 wurden sie das erste Mal deutscher Meister. Im gleichen Jahr, als Stefan und Hubert zur Bundeswehr gingen und in der gleichen Einheit landeten. 1984 gehörte das Kanadier-Duo bereits der deutschen Nationalmannschaft an und kam damit an die Sportschule der Bundeswehr nach Sonthofen.
Damit hatte Stefan Bauch das bis dahin wichtigste Ziel erreicht: Die Schule habe ihm die einzige Möglichkeit geboten, den Sport professionell zu betreiben und auch noch Geld dafür zu bekommen. Er fand es 'einfach genial', draußen zu sein, im Wasser, auf dem Fluss. Da fand er es auch nicht schlimm, stumpfsinnig auf dem Ortwanger See im Kreis zu paddeln. Ideal für Intervall- und Ausdauertraining, sagt er. Iller und Alpsee waren weitere Übungsgewässer.
Ein Kuchen für Tochter Milena
Ein piepsendes Signal lässt ihn aufspringen: Er muss den Kuchen aus dem Ofen holen, den er gerade für seine Tochter Milena zum heutigen Geburtstag gebacken hat. Gefeiert wird an einem anderen Tag - die 19-jährige Volleyballerin muss am Abend zum Training. Sie spielt beim Zweitligisten Allgäu-Team Sonthofen. Den 'saftigen Schokoladenkuchen', verrät der Vater, wird sie am Abend mitnehmen und ihn mit den Kameradinnen genießen.
1985 war Stefan mit seinem Bruder das erste Mal bei einer Weltmeisterschaft dabei, freilich nur im Ersatzboot. Aber obwohl sie nicht gepaddelt sind, wurde es eine 'tolle WM': Stefan lernte Petra kennen, die als Kajakfahrerin ebenfalls im Ersatzboot saß. Ein Jahr später war die Hochzeit. 1986 wurden die Brüder abermals Deutscher Meister. Insgesamt sechs Titel sollten es werden. 'Wir hatten das beste Boot in Deutschland', sagt Bauch selbstbewusst. Aber der Erfolg war verknüpft mit Druck - im Kader zu bleiben, den Erwartungen der Eltern zu genügen. Irgendwann, so Bauch, habe er sich diese Erwartungen zu eigen gemacht.
1987 gab es einen 'Karriereknick'. Der Bauch-Kanadier wurde nur Fünfter bei der WM-Qualifikation, Stefan und Hubert stiegen in den B-Kader ab, mussten die Sportschule der Bundeswehr verlassen. Das hatte Stefan Bauch schwer getroffen: 'Ich bin heulend im Wald verschwunden.' Und er schwor sich: 'Das passiert uns nie wieder.' Er wurde zum Wachbataillon nach Siegburg bei Bonn versetzt, bekam aber Trainingszeiten zugestanden, die er mit dem Bruder auf Rhein und Sieg verbrachte.
Der Ehrgeiz und der intensive Einsatz zahlten sich aus. Die Gebrüder schafften 1989 die WM-Qualifikation, holten in den USA den Titel. Im gleichen Jahr kehrte der frischgebackene Weltmeister an die Sportschule nach Sonthofen zurück. 1993 begannen die Brüder mit dem Abtrainieren. Beide hatten gemerkt, dass sie sich zum Training zwingen mussten. 1995 verließ Stefan Bauch die Bundeswehr, gründete mit einem Partner ein Unternehmen für Outdoor-Sport: Kanu, Rafting, Canyoning. 2001 machte er sich als Coach selbstständig, stieg später bei einem anderen Outdoor-Sportanbieter als Berater und Trainer ein.
Im Sommer 2010 kommt der Zusammenbruch. Bauch trainiert für den Triathlon in Immenstadt, fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit nach Immenstadt, legt den Hin- und Rückweg auch mal zu Fuß zurück. Im Büro könne er sich ja von der körperlichen Anstrengung wieder erholen, glaubt er. Aber die geistige Arbeit hat er unterschätzt. Zu diesem Zeitpunkt soll er für den Fußball-Bundesligisten 'Mainz 05' ein Cross-over-Training inklusive Teamentwicklung organisieren. Die Herausforderung lässt ihn kaum noch schlafen, er wird von Selbstzweifeln geplagt.
Eine Welt bricht zusammen
Dann kommt der 'Volltreffer', wie er heute sagt: Ein Trainerkollege kritisiert seine Arbeit und meint rüde, er habe keine Ahnung vom Sport. 'Da stand ich da.' Bauch setzt sich in seinen Bus, fährt los und heult. Für ihn ist eine Welt zusammengebrochen, er sieht keine Möglichkeit mehr: 'Am liebsten wäre ich gegen einen Baum gefahren.' Allein der Gedanke an seine Familie hält ihn ab. Wie er heimgekommen ist, weiß er bis heute nicht.
Auf Anraten eines Freundes sagt er die nächste Trainingseinheit ab, geht zum Neurologen. Dieser macht ihm klar, dass er nicht unter einem kleinen 'Burn-out' leide, sondern unter einer 'schweren Depression'. Das sei ein Schock gewesen, erinnert sich Bauch: So als der totale Verlierer dazustehen, wo andere es doch auch schaffen: 'In meinen Augen eine Riesenschwäche.' Er wird krankgeschrieben, bekommt Medikamente und kann endlich wieder die Nächte durchschlafen.
Es folgt eine Therapie in einer psychosomatischen Klinik in Bad Grönenbach. Er braucht vier Wochen, um wirklich anzukommen. 'Ich konnte sehr gut über meine Probleme sprechen, ohne es zu spüren.' Das sei ein 'super Selbstschutz' gewesen, er habe wegen dieses Panzers aber auch nichts für sich bewirken können. Noch heute erinnert er sich an den entscheidenden Satz, den eine Mitpatientin geäußert hat: 'Bei all dem, was du tust, verfolgst du einen Zweck.' Und er sah ein: Es stimmte. Wenn er für einen Marathonlauf trainierte, dann mit dem Ziel, das Rennen schnell zu laufen. Aber nie mit dem Ziel, zur Ruhe zu kommen.
Stefan Bauch hat gelernt, den Druck zu erkennen, darüber zu reden - mit seiner Ehefrau, mit dem Therapeuten. Wenn ihn störende Gedanken überkommen, wenn er anfängt, Selbstzweifel zu entwickeln, dann bemüht er sich, ins Hier und Jetzt zurückzukehren. Und ihm ist klar geworden: 'Ich darf Fehler machen.' Früher, sagt er, hätte er abgeblockt, wenn er auf eine Frage keine Antwort gewusst hätte, und den anderen als Deppen hingestellt. Für ihn sei es eine 'Riesenerleichterung', zu seinen Schwächen stehen zu können. Und er ist glücklich, dass er zu seinen 'Wurzeln', dem Kanusport, zurückgekehrt ist.
Kein Wettkampf mehr
Im April bekam er eine Einladung zu einer Kanulehrer-Weiterbildung. 'Es war der Hammer!' Im nächsten Sommer wird er als Trainer für Kanadier und Kajak in Oberstdorf arbeiten, im Winter ist er Schneesportlehrer nordisch, ebenfalls in Oberstdorf. 'Wenn ich mich bewege, sind alle negativen Gedanken weg', sagt er. Und fügt mit Nachdruck hinzu: 'Es gibt keinen Wettkampf mehr.' Der Sport stehe für ihn nicht mehr unter dem Leistungsgedanken, sondern eher unter dem Gedanken des Wohlfühlens. Er will in Bewegung bleiben: 'Nicht zu viel, nicht zu wenig.'