Auch im Oberallgäu gibt es zahlreiche Sportlerinnen und Sportler mit Handicap. Wir stellen Menschen vor, die mit Sport wieder zurück ins Leben gefunden haben und denen regelmäßige körperliche Aktivität ein Stück Lebensqualität gibt. Mit dem Beitrag über Toni Thannheimer beenden wir die Serie.
Die Sonne strahlt über Oberstdorf. Es ist einer der letzten Tage vor dem großen Ansturm der Touristen. Noch haben die Einheimischen die Pisten unterhalb des Nebelhorns für sich. Einer von ihnen ist Toni Thannheimer. Voller Freude schwingt er sich den Berg hinab.
Für einen 66-Jährigen ist das keine Selbstverständlichkeit. Aber am Alter liegt es nicht, dass die sportliche Aktivität von Thannheimer bemerkenswert ist. Vielmehr ist es die Tatsache, dass der Oberstdorfer vor sechs Jahren einen Schlaganfall erlitt und halbseitig gelähmt war.
'Die Berge waren immer meine Welt', erzählt Toni Thannheimer. Als Schüler und Jugendlicher hat er beim FC Oberstdorf Fußball gespielt. Aber dann standen die Berge bald im Mittelpunkt seiner Aktivitäten - 'und die Familie'. Als 20-Jähriger hatte Thannheimer geheiratet. Da arbeitete er bereits bei den Gemeindewerken in Oberstdorf als Freileitungsmonteur und Starkstrom-Elektriker.
Sein Arbeitsplatz führte ihn meist auch in die Natur. In den Folgejahren waren - neben Beruf und Familie - Sport und Natur die wichtigsten Elemente im Leben von Toni Thannheimer. Selbst schaffte er es zwar nie auf die Spitzenplätze bei Skirennen. Aber eine ganze Generation untersützte er als Sportwart des Oberstdorfer Skiclubs über 20 Jahre. Er hat auch den Jugendcup mitorganisiert. Und auch das hat ihn fit gehalten. 'Noch mit Mitte 50 bin ich in einer Stunde aufs Rubihorn raufgewandert', erzählt der heute 66-Jährige.
Mit Freunden ist er nur wenige Jahre vorher in sechs Tagen von Oberstdorf 1200 Kilometer bis zur Insel Fehmarn geradelt. In all den Jahren gab es nur kleinere Verletzungen und einen Kreuzbandriss. Lange vom Sport abgehalten hat das Thannheimer nicht. Einmal jährlich war er in dieser Zeit beim Arzt. Doch der konnte beim Gesundheitscheck nichts feststellen. Alles schien bestens. Und Thannheimer sah die Welt: Mit seiner Familie reiste er bis ins nordamerikanische Aspen und Vail und war auch dort auf den Skipisten unterwegs.
Vorfreude auf den Ruhestand
So war auch die Vorfreude groß, als er die Möglichkeit hatte, im Oktober 2007 in Rente zu gehen. 'Jetzt mache ich es mir schön', sagte sich Thannheimer damals und dachte, jetzt 'mehr Zeit für alles' zu haben. Ein wenig Arbeit am Rande sollte es noch geben, 'denn so ganz konnte ich mir ein Leben ohne Arbeit gar nicht vorstellen'.
Doch es kam anders. Denn der 21. November 2007 markierte einen Einschnitt im Leben des damals 60-Jährigen. Er stand am Morgen auf, wollte im Bad das Fenster öffnen, um nach dem Wetter zu schauen. 'Dann weiß ich nur noch, dass es mir die Füße weggezogen hat', erinnert sich Thannheimer. Er verlor das Bewusstsein.
Aber er hatte das berühmte Glück im Unglück: Seine Frau Marianne hörte, dass Toni Thannheimer gestürzt war, sah nach ihm und rief den Notarzt. Der war auch innerhalb von drei Minuten vor Ort. Nicht nur das erwies sich als Glücksfall. Der Arzt vermutete auch gleich, dass es sich um einen Schlaganfall handeln könnte und veranlasste die sofortige Einweisung in die Klinik nach Immenstadt.
Dort wurde vor Jahren eine spezielle Station für Schlaganfall-Patienten eingerichtet. Erst hier kam Thannheimer wieder zu sich. Und er realisierte, dass er zwar bei vollem Bewusstsein war, aber nicht in der Lage, zu sprechen. Zudem war die rechte Körperhälfte gelähmt. Ein Schock für den Oberstdorfer.
In der Folge gab es zahlreiche Untersuchungen. Dabei wurde festgestellt, dass Thannheimer 60 Jahre lang mit einem Loch im Herzen gelebt hat. 'Die Ärzte vermuten, dass das die Ursache für den Schlaganfall war', erzählt er. Die folgende Rehabilitation wurde deshalb von einer Operation in München unterbrochen. 'Die war problemlos, das Loch wurde geschlossen. Nach drei Tagen war alles erledigt', blickt Thannheimer zurück.
Sprechen gelernt
Anders sah es mit den Folgen des Schlaganfalls aus. Schon in der Immenstädter Klinik wurde mit der Therapie begonnen, die zum Ziel hatte, die Folgen des Schlaganfalls zu lindern: 'Ich konnte nicht einmal mehr schreiben. Ich bin ja Rechtshänder.' Dann folgte die Reha in der Fachklinik Enzensberg in Hopfen am See. Viele Übungen standen an: Es galt, wieder laufen zu lernen und die volle Kontrolle über den rechten Arm zurückzuerhalten.
Mancher Arzt stellte dabei fest: Wäre Thannheimer nicht so gut trainiert gewesen, wäre die Entwicklung in der Folge schlechter verlaufen. So aber gab es immer wieder Fortschritte. Mit Hilfe einer Logopädin lernte der Schlaganfall-Patient wieder das Reden. 'Am Anfang hörte sich das aber sehr gebrochen an. Ganze Sätze konnte ich nicht sprechen.'
Aber es gab auch psychologische Tiefpunkte. Oftmals haderte Thannheimer mit seinem Schicksal. Und in diesen Momenten waren seine Familie und seine Freunde besonders wichtig für ihn: 'Sie sprachen mir Mut zu, waren immer für mich da'. Und das, obwohl er manchmal 'nicht zum Ausstehen' war, erzählt Thannheimer.
Die innere Unzufriedenheit sei daran schuld gewesen. Denn immer wieder fürchtete er, 'dass ich nicht mehr das machen kann, was ich früher gemacht habe'. Versprechen konnte ihm kein Arzt, dass er die Folgen des Schlaganfalls weitgehend überwinden würde. 'Ich hätte auch im Rollstuhl enden können', weiß Thannheimer. Neben seiner allgemein guten körperlichen Verfassung und dem Zuspruch der Familie und von Freunden half ihm der eigene Wille.
Heute weiß er: 'Man muss selbst wollen und mitmachen.' Schon in der Reha-Klinik marschierte er mit Nordic-Walking-Stöcken durch die Gänge, um das Laufen zu trainieren. Und wieder zu Hause, setzte er die Behandlung mit Hilfe eines Physiotherapeuten fort. 'Als er eines Tages meinte, ich solle mich wieder aufs Rad setzen, dachte ich, das kann ich nicht', erinnert sich der Oberstdorfer. Aber er vertraute dem Fachmann, ging nach Hause, stieg auf sein Fahrrad - 'und nach einigen Versuchen klappte es.'
Im März 2008, kaum fünf Monate nach dem Schlaganfall, ermunterte ihn sein Sohn zum Skifahren. 'Ich habe doch kein Gleichgewicht, das klappt nicht', entgegnete Thannheimer. Doch zusammen ging es auf die Piste. In der Pflugstellung ging es die ersten Male bergab - 'doch schon nach der dritten Abfahrt konnte ich wieder Bögen machen. Ich wurde schier verrückt.' Denn in diesem Moment verstand Thannheimer: 'Ich kann ja alles wieder.'
Noch weitere zweieinhalb Jahre ging Thannheimer täglich zum Physiotherapeuten und ins Fitnessstudio, um zu trainieren. Vor allem die Koordination zwischen linker und rechter Körperhälfte klappt bis heute manchmal nicht. 'Besonders spüre ich das beim Langlaufen', erzählt der 66-Jährige. Beim Skaten kippe der rechte Weg dann mitunter weg. Und beim Bergwandern gibt es besonders beim Abstieg Probleme. Da lässt sich der rechte Fuß mitunter schlechter anheben.
Rennrad-Touren nach Bad Tölz
Aber wirklich als Einschränkung erlebt Thannheimer das nicht. Größere Rennrad-Touren über 140 Kilometer bis nach Bad Tölz oder Mittenwald absolviert der Rentner ebenso wie Wanderungen aufs Rubihorn - 'die dauern jetzt halt eine halbe Stunde länger', scherzt er. Bei schönem Winterwetter ist er zudem täglich auf der Skipiste. Das Schreiben klappt ebenso problemlos wie das Reden. Und das sogar zweisprachig - Oberstdorfer Dialekt und Hochdeutsch.
Angst vor einem erneuten Schlaganfall hat Thannheimer nicht. Die wahrscheinliche Ursache ist ja beseitigt worden. Ein erhöhtes Risiko sieht er ohnehin nicht. Denn Thannheimer weiß: 'Treffen kann das jeden. Das ist keine Frage des Alters.' Dass es ihn einmal 'erwischen' würde, konnte er sich nicht vorstellen.
Im Familien- und Bekanntenkreis gab es niemanden, der einen Schlaganfall erlitten hatte. So kam er auch seither nicht dazu, von seinen Erfahrungen zu berichten. Die sind eindeutig: 'Man muss selber mitmachen. 40 Prozent kämen vom Arzt, 60 Prozent von einem selbst, hat man mir gesagt.'
Dass er sich mit seinem Körpergewicht von 65 Kilogramm bei einer Größe von 1,70 Meter leichter getan habe wie ein Schlaganfall-Patient mit Übergewicht, das weiß er wohl.
Gut unterstützt
Wirtschaftlich hat sich der Schlaganfall nicht ausgewirkt auf den Oberstdorfer . 'Ich war ja gerade in Rente gegangen.' Aber auch über die monatlichen Rentenzahlungen hinaus fühlte er sich gut unterstützt: 'Die AOK hat ohne Diskussion alle Behandlungen bezahlt.'
Inzwischen geht Thannheimer wieder nur einmal im Jahr zum Arzt - und der bescheinigt ihm eine rundum gute Konstitution.