Es hätte eine der schönsten Wochen im jungen Leben von Andrea Billmeier werden können. Gerade war sie 18 Jahre alt geworden - volljährig. Die Welt schien ihr offen zu stehen. Denn in der gleichen Woche schloss sie ihre Ausbildung als Rechtsanwaltsgehilfin ab. Doch ein Freitagabend im Juli 1979 änderte alles. Bei einem Motorradunfall wurde Andrea Billmeier so schwer verletzt, dass ihr wenige Tage später der linke Unterschenkel amputiert werden musste. Heute, über 34 Jahre später, spielen die Folgen des Unfalls zwar noch immer im Alltag eine Rolle. Aber die inzwischen 52-jährige Immenstädterin stellt auch fest: 'Durch die Behinderung wurde mir auch viel ermöglicht.'
Leidenschaftliche Radfahrerin
In den 70er-Jahren erlebte Andrea Billmeier eine Jugend wie viele Oberallgäuerinnen. Sie besuchte zunächst die Maria-Stern-Realschule und entdeckte dort ihre Freude am Sport. 'Bei den Bundesjugendspielen war ich sehr erfolgreich, holte eigentlich immer eine Ehrenurkunde', blickt sie zurück.
Vor allem in den Wurfdisziplinen und beim Hochsprung war sie gut - 'das schnelle Laufen lag mir nicht so'. In der Schule entdeckte sie zudem ihre Freude am Volleyball. Damals war sie etwa 14 Jahre alt. Und auch das Reiten machte ihr Freude. Wettkämpfe hat sie seinerzeit nicht absolviert - 'aber sportlich war ich immer'. Nicht zuletzt deshalb, weil sie viel mit dem Fahrrad unterwegs war. Das blieb auch während ihrer Ausbildung so.
Doch dann kam jener Freitag im Juli 1979. Mit ihrem damaligen Freund war sie unterwegs auf dessen Motorrad. 'Er wollte die Beziehung beenden', erinnert sich Andrea Billmeier. Es sollte die letzte gemeinsame Verabredung sein. In der Immenstädter Gottesackerstraße passierte es dann.
In der unübersichtlichen Unterführung kam ihnen ein Auto entgegen. Es kam zur Kollision. Das linke Bein von Andrea Billmeier wurde eingequetscht. Vor allem das Sprunggelenk und die Hauptvene wurden geschädigt. Eine Amputation stand dennoch zunächst nicht an, vielmehr nach vier Tagen eine Operation. Doch dann kam es zu einer Entzündung.
'Mein Körper vergiftete sich von innen heraus', erinnert sie sich. Kurzfristig wurde sie ins Klinikum Rechts der Isar in München verlegt. Dort musste über eine Amputation entschieden werden. 'Meine Eltern mussten das tun, weil ich schon hohes Fieber hatte. Aber sie konnten sich nur dafür entscheiden, denn es ging um Leben und Tod', sagt Andrea Billmeier.
Einem jungen Assistenzarzt ist sie noch heute dankbar: 'Er entschied, dass zunächst nur der Unterschenkel unterhalb des Knies amputiert wurde, obwohl zunächst vom ganzen Bein die Rede war'. Die Operation gelang.
In der Folgezeit hatte sich die junge Frau mit den Folgen auseinander zu setzen. 'Die Bettdecke zu heben und zu realisieren, dass da ein Stück von mir fehlt, das war Hart', blickt sie zurück. Doch bald schon ging es bergauf. Wenngleich sie über ein halbes Jahr in der Klinik bleiben und anschließend noch bis zum Mai 1980 eine Rehabilitation absolvieren musste. Doch Familie und Freunde standen zur Seite. Nur ihr Ex-Freund nicht: 'Er hatte mir zu verstehen gegeben, dass er nicht mit einem Krüppel zusammen sein will.'
Die finanzielle Seite des Unfalls wurde letztlich vor Gericht geklärt. Ein Schuldiger wurde nicht gefunden. So teilten sich die Versicherungen das Schmerzensgeld in Höhe von 30 000 Mark. 'So viel war ein Unterschenkel damals wert', blickt Andrea Billmeier zurück. Zusätzlich ließ sie sich mit einem einmaligen Betrag für die Folgekosten entschädigen.
'Das würde ich heute nicht mehr machen.' Denn: 'Ich bin unzählige Male nach München gefahren wegen der Prothese.' Sie ist seit dem Unfall ihr ständiger Begleiter. Aber sie hatte dabei auch Glück: Da das Knie erhalten werden konnte und die Stumpflänge darunter nicht zu kurz ist, lässt sich die Prothese gut anpassen. Daher war für Andrea Billmeier von Beginn an klar: 'Ich habe nie hinterfragt, kann ich das oder nicht. Ich habe es einfach gemacht'. So hat sie sich schon bald wieder auf ein Pferd gesetzt. 'Ich wurde mitgezogen, oft habe ich gar nicht überlegt.'
Schlüsselerlebnis beim Baden
Doch privat gab es schon bald ein schmerzhaftes Schlüsselerlebnis. An einem Baggersee war sie zum Schwimmen. Ihre Prothese legte sie ab und deckte ein Handtuch darüber. Doch der Wind wehte es zur Seite.
Ein kleines Kind kam vorbei und erschrak bei dem Anblick: 'Es schrie laut. Und dann kam die Mutter zu mir und machte mir schlimme Vorwürfe. Ihr Kind habe einen Schock fürs Leben bekommen.' In der Folge flüchtete sich Andrea Billmeier in ihre eigene Welt: 'Privat war ich seither nie mehr so unbeschwert und offen unterwegs.' Das war 1985.
Allerdings spielte zu diesem Zeitpunkt der Sport schon eine große Rolle im Leben der jungen Frau. Ihn hatte sie in der Behindertensport-Abteilung des Turnvereins Immenstadt. Dort wurde auch Volleyball gespielt. Hier schloss sie sich an: 'Schon bald fuhr ich mit zur schwäbischen Meisterschaft.' Und 1984 richtete die Abteilung die bayerischen Meisterschaften aus, nutzte den Heimvorteil und gewann.
Einzige Frau im Team
Eine Besonderheit dabei: Die meisten Teams bestanden nur aus Männern. Andrea Billmeier war die einzige Frau. Trotz ihrer Behinderung klappte das Volleyballspiel so gut, dass sie auch bei den Nicht-Behinderten mitspielte und mit dem Damenteam des TVI in der Kreisliga und Bezirksklasse spielte. Neue Prothesentechnik unterstützte sie dabei. 'Aber ich hatte auch nie Angst vor dem Boden und habe mich häufig hingeschmissen'.
1994 erreichte sie dann ein besonderer Anruf: Der Deutsche Behinderten-Sportverband (DBS) war dabei, eine Nationalmannschaft im Sitzvolleyball der Frauen aufzubauen. Und Andrea Billmeier wurde eingeladen, dabei zu sein. Zehn Jahre lang sollte dies ihr Leben entscheidend mitprägen.
Viele Reisen durch ganz Europa standen an. Der größte Erfolg war dabei der vierte Platz bei den Weltmeisterschaften in den Niederlanden. Viel Freizeit und manchen Urlaubstag hat sie geopfert. Gelegentlich wurde sie von ihrem Arbeitgeber, der AOK in Immenstadt, auch für große Turniere freigestellt. Noch heute ist sie dem Volleyball verbunden. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht.
So ist sie als Schiedsrichterin in Südbayern im Einsatz. Und seit vier Jahren trainiert sie ein Mädchenteam in Immenstadt. Ihre Behinderung spielt dabei keine Rolle: 'Den Mädchen ist es egal, wer sie trainiert.'
Aber nicht nur rund um den Volleyballsport konnte Andrea Billmeier Erfolge verbuchen. Über das Kegeln mit ihren Kollegen entdeckte sie auch diesen Sport. Recht kurzfristig nahm sie an schwäbischen Meisterschaften der Behindertensportler teil, qualifizierte sich für die deutschen Meisterschaften und holte dort in der Klasse der Behinderten 'mit Beinschäden' den Titel. Das Kegeln begeistert sie noch heute. Erst kürzlich fuhr sie wieder zu den bayerischen Meisterschaften.
Engagement zahlt sich aus
Das alles hat bei Andrea Billmeier zu der Erkenntnis geführt: 'Im Behindertensport gibt es relativ schnell ein Weiterkommen. Im normalen Sport bist du eine von Tausenden. Aber wer sich als Behinderter ein wenig engagiert, der kann viel gewinnen. So gesehen hat mir der Behindertensport manches eröffnet.'
Ein Traum hat sich allerdings nicht erfüllt für die inzwischen 52-Jährige: 'Ich wäre gern einmal zu den Paralympics gefahren. Aber wer weiß: Vielleicht klappt es doch noch. Vielleicht im Reiten.' Das ist bislang nur Hobby geblieben. Der Sport prägt nun schon seit über 30 Jahren das Leben von Andrea Billmeier. 'Für eine Beziehung blieb da keine Zeit', blickt sie zurück.
Ihren Alltag meistert sie meist ohne größere Einschränkungen. Sie fährt einen normalen Serien-Pkw mit Automatikgetriebe. Bei der AOK ist sie seit 1981 beschäftigt und hat dort auch eine Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten nachgeholt. Dort sei sie, trotz ihrer Behinderung, im Innendienst uneingeschränkt einsetzbar. Allerdings nur an Tagen, an denen sie ihre Prothese tragen kann.
Schmerzen nach Sturz
Erst kürzlich war das nicht der Fall. Da war sie in ihrer Wohnung gestürzt, der Stumpf hatte sich leicht entzündet und das Tragen der Prothese sehr schmerzhaft. 'Mit Krücken mag ich nicht aus dem Haus gehen', sagt die 52-Jährige. Sie trägt stets lange Hosen, so dass die Prothese nicht zu sehen ist. Gelegentlich wird sie aufgrund ihres leicht humpelnden Ganges angesprochen: 'Den meisten reicht es, zu hören, dass ich einen Unfall hatte. Die interessieren sich dann nicht weiter dafür.' Einmal kam sie in die Situation, in einem Krankenhaus mit einer jungen Frau zu sprechen, bei der ebenfalls eine Amputation notwendig war. Da gab sie ihre eigenen Erfahrungen weiter: 'Und die waren, vom Schlüsselerlebnis am Badesee einmal abgesehen, positiv.'