Die dichten schwarzen Wolken verdunkeln das Mondlicht. Im Nebel leuchten zwei gelbe Augen. Der massive Körperbau und die gefletschten Zähne lassen silhouettenhaft einen Schäferhund erahnen. Die Körper der vier Kaufbeurer Christian Schönmeyer, Max Steiner, Ingo Weber und Eugen Sperling erstarren. 'Hallo', ruft jemand. Ein deutscher Gruß fernab der Heimat, in den schwarzen Wäldern von Nowojaworiwsk, einem kleinen Dorf südlich von Lemberg? Nach 1400 Kilometern Autofahrt?
Ivan, der Besitzer des deutschen Fancamps, heißt die Neuankömmlinge willkommen und erklärt, dass keiner der Gäste sich Sorgen wegen des Hundes machen müsse, der sei angekettet. Geschlafen wird im Camp auf zwei morschen Holzbrettern. Die kurzen Decken bieten nur dürftigen Schutz gegen die unzähligen Mücken, die sich in der alten Holzhütte einnisteten. Doch ein gemeinsames Frühstück mit anderen deutschen Fans am nächsten Morgen und die Vorfreude auf das erste Spiel der Nationalmannschaft bei der Fußball-EM bieten Grund für Optimismus. Die vergangene Nacht soll schnell vergessen werden.
Die Arena Lwiw, der Austragungsort des Spiels zwischen Deutschland und Portugal, ist 40 Kilometer entfernt. Ein Shuttlebus soll die vier Freunde dorthin befördern. Während der veraltete Bus die bis dato nicht fertiggestellte Autobahn verlassen muss und sich die restlichen Kilometer über löchrige Nebenstraßen holpernd dem Stadion nähert, schmunzelt Schönmeyer über den Reiseführer der Region Lemberg. Da die Übersetzung ins Deutsche nur bedingt gelungen ist, wirbt die Region neben barocken Kirchen nicht mit anderen Sehenswürdigkeiten, sondern mit 'zehn Merkwürdigkeiten'.
Die Parkplätze um die Arena wurden zum Erstrundenspiel nicht rechtzeitig vollendet. Als sich die Gäste dem Stadion nähern, biegt der Bus in eine kleine Nebenstraße ein. Sie bleiben abrupt vor einem umzäunten Gelände mit hohen eisernen Toren stehen. Alte Kräne, verrostetes Metall und zerstörte Autos sind durch die braungelben Scheiben des Busses zu erkennen. Der Besitzer des örtlichen Schrottplatzes bietet seinen alten Innenhof als Parkplatz an. 40 Euro pro Bus oder Auto.
Das renovierte Stadion imponiert den vier Kaufbeurern. Bunte Bepflanzung, goldene Statuen und Willkommens-Schilder in diversen Sprachen steigern die Vorfreude auf das Spiel. Der spontane Einfallsreichtum der Allgäuer lässt sogar die ukrainischen Kontrolleure schmunzeln.

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Da die Maximalgröße der Fahnen auf zwei Quadratmeter begrenzt ist, muss die mit 15 Quadratmeter deutlich zu große Deutschlandflagge auf Umwegen in das Stadion gebracht werden. Kurzerhand wird Sperling in die schwarz-rot-goldene Fahne gewickelt und erfolgreich als menschliche Flagge an dem breitschultrigen Personal vorbei in die Arena befördert. 'Die Stimmung ist der Wahnsinn', meint Weber. Denn das bunte Fahnenmeer, die lauten Gesänge, die bunt bemalten Gesichter der Zuschauer und der Sieg der deutschen Mannschaft lassen die Torturen der Anreise schnell vergessen.
Nach der Rückfahrt in das deutsche Fancamp feiern die vier Kaufbeurer zusammen mit den anderen Anhängern und Campbetreiber Ivan ausgiebig den Auftaktsieg. 'Ein ziemlich geiles Erlebnis', fasst Schönmeyer die Reise in die Ukraine zusammen.