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Sprungschanze in Oberstdorf: Ein Sportgerät, das funktionieren muss

Skispringen

Sprungschanze in Oberstdorf: Ein Sportgerät, das funktionieren muss

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    Sprungschanze in Oberstdorf: Ein Sportgerät, das funktionieren muss
    Sprungschanze in Oberstdorf: Ein Sportgerät, das funktionieren muss Foto: hermann ernst

    'Eine Skisprungschanze ist ein spezielles Gebäude in schwierigem Gelände mit vielen Anforderungen.' So lautet Hans-Martin Renns nüchterne Analyse eines außergewöhnlichen Projekts: Der Geschäftsführer des Sonthofer Architekturbüros 'Architekten sieber-renn.de' betreut zusammen mit seinem Team den Neubau der 32 Meter hohen Skisprungschanze HS 106 in der Oberstdorfer Erdinger Arena. Geht Renn ins Detail, wird rasch klar: Im Skisprungschanzenbau treffen verschiedenste Wissenschaften aufeinander. Tragwerksplaner und Statiker liefern Daten, Geologen beschäftigen sich mit der Bodenbeschaffenheit. Entsteht die Schanze im windigen Revier, liefern Aerodynamiker ihren Beitrag. Hinzu kommt: In der Schanze selbst steckt jede Menge feinste Technik.

    Hans-Martin Renn weiß inzwischen sehr genau, wovon er beim Schanzenbau spricht – er entwickelt und plant weltweit Skisportanlagen, derzeit unter anderem in Sotchi und Oberhof. Auch war er Teil des Teams, dass die architektonisch herausragende Anlage in Garmisch-Partenkirchen gebaut hat.

    Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass er sich an die erste Schanze heranwagte. Im Vorfeld der Nordischen Skiweltmeisterschaften 2005 in Oberstdorf ging es um die große Schwester der HS (Hill-Size) 106 in der Erdinger Arena – die sogenannte Großschanze HS 137, die vor allem durch die jährlich stattfindende Vierschanzentournee bekannt ist. 'Ich stand vor dem Hang am Fuße des Nebelhorns, wo die neue Schanze stehen sollte, und hatte riesige Ehrfurcht', erinnert sich der Architekt.

    Heute sind an die Stelle von Ehrfurcht Erfahrungswerte getreten. Dennoch ist es für Hans-Martin Renn immer noch eine Herausforderung, auf dem Anlaufbauwerk einer Schanze zu stehen. 'Das ist schlichtweg eine heftige Höhe.'

    Warum musste die rund 30 Jahre alte Vorgänger-Schanze einem Neubau weichen, der fast fünf Millionen Euro kostet? 'Im Skisport hat sich über die Jahrzehnte viel gewandelt', erklärt Stefan Huber, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft der Oberstdorfer Erdinger Arena. Angefangen beim V-Stil statt dem anfänglichen Parallelstil über windschnittigere Kleidung bis hin zu viel besseren Skiern. Schließlich gehört Skispringen schon seit 1924 zum olympischen Programm. 'Die Schwierigkeit ist nicht, dass die Spitzenathleten weiter springen als früher.

    Vielmehr werden die Anläufe immer kürzer bei gleichem Tempo', erklärt Huber.

    Zunächst die Funktion kapieren

    Dem tragen modifizierte Richtlinien des internationalen Skiverbands (FIS) genüge. Bei der neuen HS 106, bei der die Athleten etwa 100 Meter weit springen, wurden – aus Sicherheitsgründen – vor allem Änderungen am Absprungbauwerk und der Geometrie des Sprunghügels notwendig. Mit 35 Grad ist der Anlauf nun um zwei Grad weniger steil, der Schanzentisch aber etwas steiler als bei der alten Schanze, damit die Skispringer möglichst flach über den Hang segeln.

    'Für einen Architekten ist es verlockend, eine Schanze mit der Brille der Ehrsüchtelei zu planen und vor allem auf ein schickes Bauwerk hinzuarbeiten', sagt Renn. Genau das sei aber verkehrt – eine Skisprungschanze sei keine Anlage, um einen Architekturpreis zu gewinnen, sondern in erster Linie ein Sportgerät, das funktionieren muss. 'Im Studium lernt man, zunächst die Funktion zu hinterleuchten. Darauf muss sich ein Schanzenarchitekt besinnen.' Erst müsse man eine Struktur entwerfen, damit die Abläufe stimmen. Erst dann gehe es an die Ästhetik. Motto: 'Form folgt Funktion'. Man unterschätze zudem schnell, wie viel Technik und wissenschaftliche Details in einer Schanze stecken.

    So muss die Spur im Sommer bewässert werden, um ein optimales Anfahren zu gewährleisten. Im Winter indes wird in der gleichen Spur eine Eisschicht aufgebaut. Eine Herausforderung dabei: Die Spur sollte zu jeder Jahreszeit für die Athleten gleich funktionieren. Ausgeklügelte Elektronik ermögliche zudem spezielle Messungen bei Training – zum Beispiel, welche Kraft auf welchen Ski wirkt, während der Athlet auf den Absprung zurast. Dabei arbeiten die Sportverbände eng mit dem Institut für angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig zusammen. Unter anderem entwickeln die dortigen Forscher Mess- und Informationssysteme als wesentliche Voraussetzung für eine wirksame und effektive Trainingssteuerung.

    Die neue HS 106, ein 95-Tonnen-Koloss aus Holz und Stahl, empfindet Architekt Renn auf der einen Seite als eines seiner planerisch anspruchsvollsten Projekte, auf der anderen Seite habe ihm noch keine andere Schanzenplanung so viel Spaß gemacht, denn: Hier startet nicht wie auf der benachbarten Großschanze allein die Weltelite. Vielmehr finden auf der Anlage pro Jahr rund 15 000 Trainingssprünge statt. Damit ist sie eine der am meisten benutzten Schanzen überhaupt.

    Optimale Trainingsbedingungen

    Sie muss für den Nachwuchsspringer ebenso geeignet sein wie für einen Bundeskader-Athleten. Es geht in erster Linie um optimale Trainingsbedingungen sowie um möglichst sichere und attraktive Wettkampf-Voraussetzungen.

    Deshalb haben Architekt Renn und Geschäftsführer Huber während der Planungen bewusst auf intensive Gespräche mit dem Stützpunkt gesetzt, Bundestrainer wurden hinzugezogen, auch um die Psychologie der Springer zu begreifen. 'Es gibt beim Schanzenbau nicht eine komplexe Formel, die man in den Taschenrecher tippen kann', sagt Renn. 'Wichtig ist der Dialog.'

    Zudem hat das Planerteam gezielt internationale Wettkampfschanzen verglichen, um auf den Vorgaben der FIS möglichst viele Geometrien abzudecken. Ziel ist es, ein Trainingsgerät hinzustellen, das optimal auf die Wettkämpfe weltweit vorbereitet. 'Zudem ging es darum, die Schanze zukunftsfähig zu machen. Sie soll auch dann noch taugen, wenn die Ausrüstung der Sportler noch besser wird', ergänzt Renn.

    'Die zwei größten Herausforderungen für einen Architekten sind, dass eine Schanze finanzierbar ist, und dass sie funktioniert', sagt der Architekt. Die Schwierigkeit dabei: Ob eine Chance tatsächlich etwas taugt, sehen die Planer erst, wenn der erste Athlet springt.

    Eine neue Schanze für die Erdinger-Arena in Oberstdorf: Die HS 106 besitzt einen 55 Meter langen Anlauf, die Athleten fliegen rund 100 Meter weit. Foto: Hermann Ernst

    Hans-Martin Renn

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