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Nicht mehr zeitgemäß: Bildungspolitik muss Unterricht an die Gesellschaft anpassen

Umfrage zum Ethikunterricht an Schulen

Nicht mehr zeitgemäß: Bildungspolitik muss Unterricht an die Gesellschaft anpassen

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    Für einen gemeinsamen Ethikunterricht unabhängig von Konfessionszugehörigkeit oder -losigkeit sprachen sich in Bayern 64 Prozent der Befragten aus. (symbolbild)
    Für einen gemeinsamen Ethikunterricht unabhängig von Konfessionszugehörigkeit oder -losigkeit sprachen sich in Bayern 64 Prozent der Befragten aus. (symbolbild) Foto: Max Fischer von Pexels

    Es war zu erwarten: 85 Prozent der befragten Bayern, die sich keiner Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlen, befürworten den gemeinsamen Ethikunterricht für alle Schüler. Dass in Bayern jedoch auch katholische, evangelische, muslimische und konfessionslose Bürger gleichermaßen für den gemeinsamen Unterricht ihrer Kinder sind, überrascht. Zumindest die evangelischen und katholischen Kirchen sowie die muslimischen Verbände zeigen sich schockiert angesichts der Ergebnisse einer jetzt veröffentlichten GfK-Studie mit deutschlandweit 4030 Befragten im Alter von 18 bis 74 Jahren.

    Die zentrale Frage

    Unsere Gesellschaft ist zunehmend bunter und vielfältiger geworden. Welchen der folgenden Vorschläge zum Schulunterricht halten Sie für am besten geeignet, ein friedvolles Miteinander der Menschen zu fördern?

    1. Schüler/innen mit Religionszugehörigkeit besuchen das Fach Religionslehre, alle anderen Schüler das Fach Ethik.
    2. Alle Schüler/innen besuchen das Fach Ethik. Das Fach Religionslehre wird zusätzlich angeboten, die Teilnahme ist jedoch freiwillig.
    3. Alle Schüler/innen besuchen das Fach Ethik. Das Fach Religionslehre entfällt.

    Für ein friedvolles Miteinander

    In Bayern wurden im Rahmen der Studie, die die GfK für den "Bund für Geistesfreiheit" (bfg) Bayern durchgeführt hat, insgesamt 647 Personen befragt. Ziel war es, einen Eindruck davon zu gewinnen, ob die Bevölkerung meint, mit der Gestaltung des Religionsunterrichts ein friedvolles Miteinander der Konfessionen und Glaubenseinstellungen fördern zu können.

    "Desaster für Kirchen und muslimische Verbände"

    Das größte deutsche Marktforschungsinstitut GfK hat vom 24. Februar bis 20. März 2022 bundesweit 4300 repräsentativ ausgewählte deutschsprachige Bürger im Alter von 18 bis 74 Jahren, davon 647 in Bayern, im Auftrag des Bund für Geistesfreiheit (bfg) Bayern befragt. Dessen Vorsitzender Erwin Schmid bewertet das Ergebnis als

    "...ein Desaster für Kirchen und muslimische Verbände. Offensichtlich erkennen die eigenen Mitglieder besser als die Führung, dass ein friedvolles Zusammenleben und der gesellschaftliche Zusammenhalt nur durch Stärkung des Gemeinsamen und nicht des Trennenden gefördert werden kann."

    Wenn 64 Prozent der Bayern einen gemeinsamen Ethikunterricht für alle Schüler befürworten, sei das fast eine verfassungsändernde Mehrheit.

    32 Prozent Konfessionsfreie in Bayern

    Statt nach der Mitgliedschaft zu fragen, wollte der bfg Bayern wissen, welcher Religion sich die Befragten zugehörig fühlen. Denn aus Kirchenkreisen wird immer wieder die Vermutung geäußert, dass die Kirchenaustritte ihren Grund in der Vermeidung der Kirchensteuer hätten und nicht in der Abwendung vom Glauben. "Die Umfrage zeigt jedoch keine große Diskrepanz zwischen den offiziellen Mitgliederzahlen der Kirchen und den Ergebnissen der GfK-Umfrage", erklärt Ernst-Günther Krause, der beim bfg Bayern zuständige Experte für die Ethikumfrage. Danach fühlen sich 42 Prozent als katholische und 21 Prozent als evangelische Christen. Die sich als muslimisch bezeichnenden Befragten kommen auf 3 Prozent, die sich anderen Religionen zugehörig fühlenden auf 2 Prozent. Mit 32 Prozent liegt der Anteil der Konfessionsfreien in Bayern weit über dem der evangelischen Christen. 

    Bundesweit 72 Prozent Zustimmung für gemeinsamen Ethikunterricht

    Bundesweit liegt die Zustimmung für einen gemeinsamen Ethikunterricht mit 72 Prozent deutlich über der von Bayern. Dass die neuen Bundesländer mit 79 Prozent an der Spitze liegen, ist wohl dem hohen Anteil an Konfessionsfreien geschuldet, der zwischen 70 Prozent in Brandenburg und 77 Prozent in Thüringen liegt.

    Lehrkräfte für Ethikunterricht fehlen

    Spätestens nach der Landtagswahl im Herbst 2023 werde es bei allen politischen Parteien zu einem Umdenken kommen. "Man kann nicht erfolgreich über längere Zeit gegen eine so klare Mehrheit in der Bevölkerung regieren", ist Ernst-Günther Krause überzeugt. Der Pädagoge im Ruhestand hat selbst mehr als zwei Jahrzehnte lang zusehen müssen, wie zwei Gruppen von Schülern den Klassenraum verlassen mussten und eine dritte Gruppe sitzenbleiben konnte. "Und das letztlich nur, weil ihre Eltern Mitglieder von zwei größeren Kirchen sind oder sich keiner oder einer anderen Religion zugehörig fühlen. Das muss ein Ende haben." 

    So sieht das auch Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). "Die Frage nach einer prinzipiellen Neuausrichtung des Religionsunterrichts ist in bildungspolitischen Kreisen ein hochbrisantes Thema", sagt Fleischmann im Interview mit

    all-in.de

    "Jahrzehntelang wurden seitens der Bildungspolitik keine Änderungen des Religionsunterrichts geschweige denn Anpassungen an sich verändernde gesellschaftliche Strukturen vorgenommen."

    Die Strukturen seinen verkrustet und längst nicht mehr zeitgemäß.

    Höchste Zeit für religionssensible Schulkultur

    "Deutschland, Europa, die ganze Welt ist eine Integrations- und Migrationsgesellschaft. Das Staatsministerium für Kultus und Unterricht hat bislang viel zu wenig flexibel auf die steigende Zahl konfessionsloser Kinder reagiert", bemängelt die Pädagogin. Die Bildungspolitik habe viel zu spät begonnen, sich mit den sich verändernden gesellschaftlichen und damit auch religiösen Strukturen auseinanderzusetzen. Jetzt sei es höchste Zeit für eine religionssensible Schulkultur.

    Philosophisch-ethische Studiengänge müssen attraktiver werden

    Am 1. März 2022 kommt das Ministerium zu dem Fazit, dass "weiterhin ein hoher Bedarf an zusätzlichen Lehrkräften mit Lehrbefähigung im Fach Ethik" besteht. Die Zahlen vom Wintersemester 2020/21 belegen jedoch genau das Gegenteil: ein Missverhältnis zwischen der Nachfrage nach Ethikunterricht und dem dafür erforderlichen Lehrkräftebedarf. 15 Prozent der Studierenden haben sich neu für Ethik/Philosophie eingetragen und 85 Prozent neu für evangelische (28 Prozent) sowie katholische (57 Prozent) Religionslehre. Angesichts der Tatsache, dass sich mehr als 30 Prozent der volljährigen Bürger Bayerns als konfessionslos bezeichnen, sei Handeln und kein ministerielles "Beobachten der Entwicklung der Studierenden- bzw. Absolventenzahlen in den verankerten Fächerverbindungen mit Ethik" erforderlich, schlussfolgert Krause. "Die politischen Parteien müssen von der bisherigen Benachteiligung des Ethikunterrichts abrücken."

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