Das Bürgergeld der Ampel-Koalition ist vorerst gestoppt. In einer Sondersitzung des Bundesrats erhielt der Gesetzentwurf für die Sozialreform am Montag nicht die erforderliche Mehrheit. Damit kann die zum 1. Januar geplante Sozialreform vorerst nicht in Kraft treten. Wie zuvor angekündigt, verweigerten mehrere Landesregierungen unter Führung beziehungsweise mit Beteiligung der Union dem Vorhaben ihre Zustimmung.
Suche nach einem Kompromiss
Vor der Abstimmung über das Gesetz im Bundesrat hatte sich immer mehr angedeutet, dass es für das Vorhaben der Ampel keine Zustimmung geben und eine Kompromisssuche im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat nötig sein wird. Ein Kompromiss müsse nach Experteneinschätzung bis spätestens Ende November gefunden werden, damit das Bürgergeld wie geplant zum 1. Januar eingeführt werden kann.
Söder fordert Nachbesserung
Vertreter von Union und Ampel hatten zuvor am Wochenende ihre gegensätzlichen Positionen deutlich gemacht. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder forderte in der "Bild am Sonntag" (BamS), die Ampel müsse grundsätzlich nachbessern: bei den Sanktionen, beim Schonvermögen und beim Leistungsprinzip. "Nur unter diesen Bedingungen kann es eine Zustimmung geben". CDU-Chef Friedrich Merz sagte der "Welt am Sonntag": "Die Bundesregierung vollzieht mit diesem Gesetz einen vollständigen Systemwechsel in der Arbeitsmarktpolitik. Da sind Kompromisse schwierig."
Ampel-Politiker kritisieren CDU und CSU
Ampel-Politiker kritisierten CDU und CSU. "Die Union wird zur reinen Dagegen-Partei. Sie hetzt, nutzt falsche Zahlen, wettert gegen eine wichtige Reform", sagte Grünen-Chef Omid Nouripour der "Bild am Sonntag". Nach Ansicht der stellvertretenden SPD-Fraktionschefin Dagmar Schmidt hat sich die Union "argumentativ verrannt". "CDU und CSU sollten aufhören, mit wirren Äußerungen Fake News zum Bürgergeld zu verbreiten", sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr dem "Spiegel". Kompromissbereit zeigte sich FDP-Chef Christian Lindner: "Wir gehen offen in ein Vermittlungsverfahren", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Man könne über alles verhandeln. Was stört die Union so an dem Gesetz?
Ampel will Vorgaben lockern
Die Ampel-Pläne sehen eine Erhöhung des heutigen Regelsatzes von 449 Euro für Alleinstehende auf 502 Euro vor. Das ist unstrittig und wird auch von der Union befürwortet. Arbeitslose sollen zudem künftig weniger durch einen angedrohten Leistungsentzug (Sanktionen) unter Druck gesetzt werden, speziell im ersten halben Jahr des Bürgergeldbezugs ("Vertrauenszeit"). Vorgaben zur erlaubten Vermögenshöhe und zur Wohnungsgröße bei Leistungsbeziehern will die Ampel lockern.
Union bezeichnet Lockerungen als "falsche Anreize"
Bei all diesen Punkten hält die Union ihr Stoppschild hoch. Das "sogenannte Bürgergeld" sei der Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen aus Steuermitteln, kritisierte Merz. CDU und CSU sprechen von "falschen Anreizen" und sind der Ansicht, das Bürgergeld senkt die Motivation, eine Arbeit anzunehmen.
Was passiert nun im Bundesrat?
Die Länderkammer kommt am Montag um 11.00 Uhr zu ihrer Sitzung zusammen. Trotz aller Appelle an die unionsregierten Länder, dem Bürgergeld zuzustimmen, stehen die Chancen denkbar schlecht, dass dies passiert. Bekommt ein zustimmungspflichtiges Gesetz keine Zustimmung, kann der gemeinsame Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat - darin sitzen je 16 Mitglieder beider Häuser - für eine Kompromissfindung angerufen werden. Damit wird gerechnet.
Wie funktioniert das Vermittlungsverfahren?
Die 32 Mitglieder treffen sich im Gebäude des Bundesrats in Berlin, dröseln das vorliegende Gesetz noch einmal auf und suchen Punkt für Punkt nach Annäherungsmöglichkeiten. Die Linke warnte vorab: Das Ziel von CDU und CSU bestehe darin, "das Bürgergeldgesetz im Vermittlungsausschuss zu schleifen" dagegen werde man sich stemmen. Es gilt Vertraulichkeit. Nichts soll von den Verhandlungen nach draußen gegeben werden, um die Kompromissfindung nicht zu gefährden. Ist eine Einigung gefunden, müssen sowohl Bundestag als auch Bundesrat dieser noch einmal zustimmen.
Die Zeit drängt
Viel Zeit bleibt nicht. Die für Hartz IV und später für das Bürgergeld zuständige Bundesagentur für Arbeit hatte ein beschlossenes Gesetz bis spätestens Ende November gefordert, damit es mit der Umstellung zum 1. Januar einschließlich Anhebung der Regelsätze klappt. Am Freitag, 25. November, kommt der Bundesrat zu seiner nächsten regulären Sitzung zusammen und könnte dort einem möglichen Kompromiss zustimmen. Bis dahin sind aber nicht einmal zwei Wochen Zeit. Die Mitglieder des Vermittlungsausschusses müssen sich wahrscheinlich auf mindestens eine lange Nachtsitzung einstellen.