Einer Mitarbeiterin eines Paketshops in Reichshof fielen im März 2017 vier Pakete auf, die nach merkwürdigen Kräutern rochen. Die Frau sprach den Abholer darauf an und drohte mit der Polizei. Daraufhin ergriff der Mann die Flucht. Zur selben Zeit tauchte in Wuppertal ein weiteres kleines Paket auf. Das Misstrauen der Mitarbeiter war berechtigt. Die Polizei fand insgesamt 87 Kilo von "Neuen psychoaktiven Stoffen" (NpS). Die Menge der synthetisch hergestellten Drogen hatte laut Polizei einen Straßenverkaufswert von knapp 700.000 Euro.
Ermittler kommen Absender auf die Spur
Der Polizei fiel gleich auf, dass die beiden Paketchargen denselben Absender aus dem mittelfränkischen Kreis Ansbach aufwiesen. Die Kriminalpolizeiinspektion und die Staatsanwaltschaft Ansbach übernahmen deshalb die Ermittlungen. Nachdem den Ermittlern die Tragweite des Falles bewusst wurde, schaltete sich das BLKA in das Verfahren ein. Durch die gemeinsame Ermittlungsarbeit der Ermittlungsgruppe (EG) Speer kamen die Beamten dem Absender auf die Spur. Es handelte sich um einen 32-jährigen Wahl-Münchener. Er stellte NpS in verschiedenen, extra angemieteten Privatwohnungen her. Der Mann führte in München ein Luxusleben und gab an, im Monat über 60.000 Euro mit der Produktion von NpS zu verdienen. Demnach hatte er von März 2017 bis zu seiner Festnahme im März 2018 mehr als eine Million Euro umgesetzt.
Über 1,2 Tonnen Drogen im Wert von zehn Millionen Euro
Ermittler aus Ansbach und München hatten den Produzenten lange vor seiner Festnahme überwacht und so ein ganzes Netzwerk aufdecken können. Das Netzwerk betrieb mehr als 30 Online-Shops. Über diese wurden die verbotenen psychoaktiven Substanzen, getarnt als legale "Kräutermischungen", vertrieben. Auf diese Weise wurden im Zeitraum, in der die Gruppe aktiv war, über 1,2 Tonnen NpS in einem Wert von mehr als zehn Millionen Euro umgesetzt.

Was sind NpS?
40 Menschen sind allein in Bayern im Jahr 2016 an den Folgen von NpS gestorben. 2017 waren es 37 - was steht hinter dem Begriff „Neue psychoaktive Stoffe“ (NpS) und warum sind sie so gefährlich?
Neue psychoaktive Stoffe (NpS) sind neue chemisch hergestellte, berauschende Wirkstoffe, die den Rauschgiftmarkt in den letzten Jahren regelrecht überflutet haben. Für sie gibt es laut BLKA international noch keine einheitlichen Gesetze. So kann ein Wirkstoff in Deutschland verboten sein, jedoch in Spanien noch nicht oder umgekehrt.

NpS werden in bunten, freundlichen Packungen über Staatsgrenzen hinweg im Internet verkauft und erwecken den Anschein, harmlos und legal zu sein. Doch kein Konsument kennt die Inhaltsstoffe und die verwendeten Dosierungen. Er weiß vorher nicht, wie die Drogen wirken werden. Es gibt noch keine Langzeitstudien zu den synthetischen Cannabinoiden, wie sie auch in diesem Fall produziert und verkauft wurden. Diese künstlich hergestellte Droge ist wesentlich stärker als herkömmliches Cannabis. In zu hoher Dosierung sind Todesfälle keine Seltenheit. Nebenwirkungen wie Herz-Kreislauf-Probleme, Kreislaufkollaps, Bewusstlosigkeit, Psychosen und Panikattacken sind möglich.
Ermittlung gegen 52 Personen
Durch die weiteren akribischen Ermittlungen erhielten Polizei und Staatsanwaltschaft tiefe Einblicke in die Struktur und Arbeitsweise der Drogen-Bande. Die Ermittlungen richteten sich schließlich gegen insgesamt 52 Personen. Dabei ging die Gruppe arbeitsteilig vor und setzte sich u.a. aus Produzenten, Kundensupportern, EDV-Administratoren, Geldkurieren und Umverpackern zusammen. Die Bande unterhielt auch eigene Finanzagenten. Diese kamen ins Spiel, um die Einnahmen auf verschiedenen Konten zu verbuchen und auf diese Art zu waschen. So konnten die Ermittler beispielsweise auf einem einzigen Konto im Zeitraum von wenigen Monaten über 10.000 Kontobewegungen feststellen.
Weitere Urteile
Im Ergebnis resultierten daraus bundesweite Durchsuchungs- und Festnahmeaktionen. So gelang es – zunächst bis auf den Bandenchef und dessen "rechte Hand", alle Bandenmitglieder zu identifizieren und festzunehmen. Zwischenzeitlich wurden allesamt vom Landgericht Ansbach zu mehrjährigen Haftstrafen rechtskräftig verurteilt. Im Einzelnen sind dies:
- Produzent: 8 Jahre und 6 Monate
- EDV-Administrator: 4 Jahre
- EDV-Kundensupport: 3 Jahre und 3 Monate
- Kundensupport: 4 Jahre und 6 Monate
- Umverpacker: 6 Jahre und 3 Monate
- Geldkurier: 3 Jahre und 6 Monate
Insgesamt konnten die Beamten eine dreistellige Kilogrammzahl an illegalen Substanzen sicherstellen.
Festnahme in Thailand
Die Ermittlungsgruppe Speer gab sich aber mit diesem Teilergebnis nicht zufrieden, sondern intensivierte ihre Anstrengungen und richtete den Fokus auf die beiden noch flüchtigen Haupttäter. Sie konnten in Thailand festgenommen werden. Im Oktober 2021, beziehungsweise Januar 2022 wurden sie nach Deutschland ausgewiesen. Dort wurde ihnen dann im Oktober 2022 bzw. Februar 2023 vor dem Landgericht Ansbach der Prozess gemacht. Bereits zu Beginn der Verhandlung räumten die beiden Angeklagten den Vorwurf vollumfänglich ein. Der Bandenchef wurde im Februar 2023 zu 10 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe, sein Gehilfe zu 5 Jahren und 9 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.