Inmitten des Turnskandals melden sich nun erstmals zwei aktive Sportlerinnen der TG Mannheim mit einem eindringlichen Appell zu Wort. Die beiden EM-Silbermedaillengewinnerinnen Silja Stöhr und Janoah Müller, die stellvertretend für die Kaderathletinnen aus Mannheim sprechen, wünschen sich ihre weiterhin freigestellten Trainerinnen Claudia Schunk und Alina Korrmann zurück.
Müller: «Wir haben sie ganz anders erlebt»
«Wir haben sie ganz anders erlebt, als sie öffentlich dargestellt werden. Wir vermissen sie», sagte Janoah Müller der Deutschen Presse-Agentur. «Ich habe keine problematischen Situationen oder psychischen Missbrauch erfahren.» Die Eltern der Kaderathletinnen sprechen sich in einem gemeinsam verfassten Schreiben ebenfalls für die Übungsleiterinnen aus.
Angeführt von den früheren Auswahlathletinnen Tabea Alt und Michelle Timm haben seit kurz vor Weihnachten etliche Turnerinnen öffentlich schwere Vorwürfe gegen die Arbeit am Bundesstützpunkt in Stuttgart erhoben. Unmittelbar nachdem die ehemaligen Turnerinnen über «systematischen körperlichen und mentalen Missbrauch» am dortigen Kunst-Turn-Forum (KTF) berichtet hatten, geriet auch der Bundesstützpunkt in Mannheim in den Fokus.
Fälle dürfen nicht vermischt werden
Müllers Einwände decken sich mit Darstellungen der Olympia-Teilnehmerin Helen Kevric vom MTV Stuttgart. Sie hatte bereits erklärt, dass sie «kein Missbrauchsopfer» sei. Auch Kevric hatte sich im Mai für ihre Trainer am KTF ausgesprochen. «Ich hätte sie gerne behalten», sagte Kevric. Manfred Zipper, Fachanwalt für Strafrecht, vertritt die beiden Trainerinnen und teilt mit: «Es ist falsch, die beiden Fälle Stuttgart und Mannheim zu vermischen.»
Die Mannheimer Eltern kritisieren außerdem die schleppende Aufarbeitung der Vorwürfe – und dass weder aktive Turnerinnen noch Erziehungsberechtigte in die Aufklärung eingebunden werden. In dem Schreiben heißt es: «Die Freistellung können wir weder nachvollziehen noch als gerechtfertigt ansehen. Uns sind keine Gründe bekannt, die eine derart drastische Maßnahme erklären.» Da die freigestellten Trainerinnen weiterhin angestellt sind und eine Rückkehr möglich ist, wurde bislang kein gleichwertiger Ersatz engagiert.
Pendeln zwischen Mannheim und Stuttgart
Auch deswegen absolvieren Müller und Stöhr inzwischen mehrmals pro Woche Einheiten in Stuttgart. Dort arbeiteten sie bislang intensiv mit LaPrise Harris-Williams zusammen. Auch die US-Startrainerin Aimee Boorman ist in Stuttgart tätig, war aber bislang anderweitig im Einsatz. So hatten die Mannheimer Athletinnen eine zusätzliche Möglichkeit, sich auf die am Donnerstag beginnenden deutschen Meisterschaften in Dresden vorzubereiten. Ein dauerhafter Wechsel kommt für das Duo aktuell jedoch nicht infrage. «Wir leben hier, gehen hier zur Schule und wollen unsere Trainerinnen zurück», betonen sie unisono.
Lob für fürsorglichen Umgang
Stöhr widersprach den veröffentlichten Vorwürfen, wonach Sportlerinnen auch in Mannheim dazu aufgefordert wurden, trotz Verletzungen zu trainieren. «Ich wurde 2023 während meiner Rückenverletzung sehr gut betreut. Meine Trainerin ist mit mir zum Arzt gegangen und hätte mich niemals turnen lassen. Sie hat mir dank ihres Netzwerks und ihrer Kontakte Ärzte vermittelt, die mir helfen konnten», sagte die 17-Jährige.
Diese Erfahrungen teilen alle aktuellen TG-Kaderathletinnen, hieß es vonseiten der Eltern. Sie loben zudem den fürsorglichen Umgang mit Verletzungen von Schunk, die beim Deutschen Turner-Bund (DTB) angestellt ist und über die Bundesförderung finanziert wird, und der vom Badischen Turner-Bund engagierten Korrmann.
Ermittlungen dauern an
In Bezug auf Stuttgart laufen laut Staatsanwaltschaft Verfahren wegen des Verdachts der Nötigung in mehreren Fällen, des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, des Verdachts der versuchten gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen und wegen des Verdachts der versuchten vorsätzlichen Körperverletzung in einem Fall. Der DTB hat zur Aufarbeitung an beiden Standorten eine Kanzlei eingesetzt. Die Ermittlungen dauern allerdings an, wie die Staatsanwaltschaft der dpa nun bestätigte.
«Wir hängen in der Luft. Dabei sind wir die Athletinnen, die am engsten mit diesen Trainerinnen zusammengearbeitet haben. Wir könnten das doch am besten beurteilen», sagte Stöhr mit Blick auf den Stand der Ermittlungen in Mannheim. Die Eltern ergänzten in ihrem Schreiben: «Mit Turnerinnen der aktuellen Mannheimer Trainingsgruppe wurde nie gesprochen. Diese Seite wurde gar nicht befragt.»
Trainer müssen auch einfordern dürfen
Die pädagogischen Methoden im Leistungssport – nicht nur im Turnen – haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend verändert, allerdings nur langsam. Rückblickend hat dies sehr jungen Sportlern teilweise sicher geschadet. Man müsse aber bedenken, dass viele Probleme nicht an einzelnen Personen, sondern am System liegen, finden die Eltern der Mannheimer Turnerinnen.
Außerdem gehöre es zum Leistungssport auch dazu, dass Trainer Forderungen stellen, um das Beste aus den Sportlern herauszuholen, meinen die aktiven Athletinnen der TG.

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