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Wie kriminell ist die Jugend wirklich?

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Wie kriminell ist die Jugend wirklich?

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    Kempten (sf). - Ist die Jugend von heute krimineller als früher? Müssen die Gesetze verschärft werden? Mit dem Brennpunkt-Thema 'Jugendkriminalität' beschäftigte sich in der Reihe 'Gespräche zur Zeit' der Lions Club Kempten. Dazu unterhielten sich die bayerische Justizministerin Dr. Beate Merk, der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. Theodor Christa und Jugendrichter Gerhard Dambeck. Zudem stand Fernseh-Richter Alexander Hold Rede und Antwort. Die Lions hatten sich einiges einfallen lassen, um das ernste Thema aufzulockern: Jugendliche spielten im voll besetzten Saal der Sing- und Musikschule eine Gerichtsverhandlung nach, ein Film ließ 'Mann und Frau von der Straße' zu Wort kommen und AZ-Redakteurin Silvia Reich-Recla interviewte Fernseh-Richter Hold (siehe eigenen Artikel). In der Diskussionsrunde Merk-Christa-Dambeck wurde das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet:Gerhard Dambeck: Der Amtsgerichtsdirektor und Jugendrichter beichtete eine 'Jugendsünde'. Die Tat, die die Jugendlichen als Szene aus dem Gerichtssaal spielten, habe sich tatsächlich ereignet: Er selbst hatte als Bub von einem Händler eine Cola erschwindelt. Der Händler überführte ihn und von der Mutter gab es eine 'gewaltige Watsch'n'. Trotzdem sei aus ihm noch 'etwas halbwegs Anständiges geworden'. Und das war auch sein Fazit des Abends: 'Wirklich kriminelle Jugendliche haben wir nur sehr wenige.' Die allermeisten geraten überhaupt nicht mit dem Gesetz in Konflikt und von denen, die vor Gericht landen, 'kommen 90 Prozent einmal und nicht wieder'. Der Justizministerin gab er mit auf den Weg, den Strafrahmen flexibler zu gestalten. So sollte gegen Jugendliche trotz Bewährungsstrafe ein Warn-Arrest verhängt werden können, 'um ihnen einen Schnupper-Eindruck vom Knast zu vermitteln'.

    Dr. Beate Merk: Bayerns Justizministerin stieg ein mit einer Beschreibung der Tat von Traunreut (wir berichteten): Dort hatte eine Gruppe Jugendlicher einen Toten im Wald gefunden und den Leichnam auf schreckliche Weise geschändet. Merk: 'Auch wenn man Gruppendynamik und Alkohol mit einrechnet, zeigt das eine zunehmende Verrohung und Abstumpfung junger Menschen, die an Horrorfilme erinnert.' Natürlich - und da gab sie Dambeck recht - treten die meisten Jugendlichen strafrechtlich nie oder nur einmal in Erscheinung. Dennoch: 'Die Schwere bei den Straftaten nimmt zu.' Ob dies besonders grausame Gewaltexzesse seien oder jugendliche Intensivtäter ohne jedes Maß: In solchen Fällen plädierte Merk für eine härtere Gangart. Sprich: Heraufsetzen der Höchststrafe im Jugendrecht von zehn auf 15 Jahre und beim Versagen der Eltern mehr Druck auf diese - angefangen vom verpflichtenden richterlichen Erziehungsgespräch bis zum Entzug des Sorgerechts und der Heimunterbringung. Daneben sei das Wichtigste die Resozialisierung der jugendlichen Täter. Hoffnung auf eine Änderung des Jugendstrafrechts, so wie von Dambeck angeregt, machte sie nicht: 'Das ist Bundesrecht und dafür gibt es in Berlin trotz Großer Koalition keine Mehrheit.'Dr. Theodor Christa: Nicht das Strafmaß sondern was der Tat vorausgeht, war das Thema des Facharztes: 'Die Ursachen liegen vor allem in gestörten Familienverhältnissen.' Dadurch werde der Jugendliche zum Außenseiter, der nicht fähig zu echten Beziehungen ist. Als Folge versucht er durch zerstörerische Taten Aufmerksamkeit zu erregen oder er schließt sich einer Außenseiter-Gruppe an. Zwar stellte Christa Strafen als Konsequenz einer Tat nicht in Frage. Doch es reiche nicht, kriminelle Jugendliche einfach nur wegzusperren: 'Sie brauchen unbedingt therapeutische Betreuung - auch in der JVA.' Ohne eine Begleitung von pädagogischem Fachpersonal sieht er wenig Chancen auf Resozialisierung: 'Langes Wegsperren verhindert nur die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.'

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