Als ein Engel ein neues Leben schenkte Von Michaela Behr Heimenkirch 'Engel kommen immer dann, wenn man sie am wenigsten erwartet. So wie Sie für mich ein Engel sind, der mir am 4. April ein neues Leben geschenkt hat.' Es sind rührende Worte, die Hildegard Schnepf einer Frau schickte, die sie gar nicht kennt. Noch nicht. Einer Frau, der sie aber dennoch ihr Leben verdankt. Denn die Mutter zweier Kinder und dreifache Oma hatte Leukämie. Eine Stammzellen-Transplantation rettete ihr das Leben. Und ihr Engel, das ist die Spenderin, die ihre Stammzellen zur Verfügung stellte.
Bis Hildegard Schnepf aber ihr neues Leben beginnen konnte, war es ein leidvoller Weg. Im Oktober 2005 litt die Heimenkircherin über Tage an Müdigkeit und Atemnot. 'Ich dachte, das ist eine Grippe und wird schon wieder', erinnert sie sich. Am Körper bildeten sich blaue Flecken.
Erst nach einigen Tagen suchte die heute 53-Jährige einen Arzt auf, dann ging alles ganz schnell. Nach der Blutabnahme wies ein Arzt sie in die Schloßbergklinik ein. Noch am gleichen Tag kam Hildegard Schnepf zur Knochenmarkbiopsie nach Großhadern. Leukämie. Akut. Tochter Anja war zu diesem Zeitpunkt im fünften Monat schwanger: 'Dass meine Mutter Leukämie haben soll, hat der ganzen Familie den Boden weggerissen.' Kraft in der schweren Zeit gab ihr die, die am meisten Hilfe nötig hatte: 'Mama war die stärkste von uns, sie hat sich keine Sekunde aufgegeben.'
Die Mutter fügt selbst an: 'Der Arzt hat gesagt, diese Art von Leukämie sei gut heilbar. Ich habe mir gesagt, das krieg ich wieder los.' Acht Wochen im Krankenhaus, davon neun Tage Chemotherapie und fünf Wochen isoliert. Die meiste Zeit an ihrer Seite: Vater Hans. Einen Tag vor Weihnachten durfte Hildegard Schnepf nach Hause. 'Heim zu kommen war toll', erinnert sie sich. Daheim stellte sie sich gleich in die Küche und machte wie jedes Jahr an Weihnachten Kartoffelsalat.
Ein weiterer Schock traf die Familie dann im Januar. Eine Untersuchung ergab, dass das Knochenmark noch nicht zu hundert Prozent rein von kranken Zellen war. Die Ärzte empfahlen eine Stammzellentransplantation, da dies die sicherste Methode auf absolute Heilung sei. Da Hildegard Schnepf unbedingt wieder gesund werden wollte, blieb ihr letztlich keine andere Wahl.
Typisierung in der Firma
Die Familie hatte sich testen lassen und in Hildegard Schnepfs Firma, dem Opfenbacher Betrieb 'Neluplast', hatte bereits eine Typisierung stattgefunden. Geeignete Spender waren nicht dabei. Die nächsten Wochen hieß es hoffen und bangen. Warten bis sich ein Spender findet. Fünf Wochen dauerte es, ehe der Arzt anrief. Freude, Angst, Panik. 'Jetzt fragte ich mich: Will ich die Transplantation überhaupt?' Am 11. Januar war die zweite Enkelin Magdalena geboren worden. Sie war mit ein Grund, dass die inzwischen zweifache Oma sich sagte: Ich werde noch gebraucht.'
Ein Untersuchungsmarathon folgte. 'Die Angst war immer präsent, dass ich die Transplantation nicht überleben könnte', erinnert sich die 53-Jährige. Doch versuchte sie, unterstützt von ihrer Familie, nach vorn zu schauen. Abends um 20 Uhr war es, als die Ärzte mit einem Beutelchen ins Zimmer kamen. Mit den Stammzellen ihres Engels. Die Transplantation selbst war unspektakulär. Über die Vene wurde per Infusion transplantiert.
Wieder warten, bangen und hoffen
Die nächsten Wochen waren für Hildegard Schnepf die schlimmsten. Jetzt sollte sich entscheiden, ob sich die Stammzellen im Knochenmark ansiedeln. Viereinhalb Wochen hoffte sie täglich auf die Leukozytenwerte. Kraft gab ihr vor allem Sohn Simon. 'Er hatte mir gesagt: Du musst gesund werden, dein nächster Enkel ist unterwegs.' Dann endlich stiegen die Werte. Auf die Frage, was sie gefühlt habe, als der Arzt sagte, dass es geschafft sei, zuckt die 53-Jährige die Schultern. Unbeschreibbar sei es gewesen - ein neues Leben begann. Und endlich, nach weiteren Wochen, durfte sie heim - ins desinfizierte Haus, Pflanzen, Teppiche und Katze mussten ins Freie.
Zu Beginn war die Heimenkircherin sehr schwach. Die Muskulatur war weg, Abwehrkräfte hatte sie keine mehr. Immer noch ist die 53-Jährige sehr anfällig für Viren und Infektionen. Doch mit der Familie meistert sie auch das. Das Leben gelassener angehen, viel rausgehen und ganz viel Zeit mit den Enkeln verbringen - der jüngste, Kilian, ist schon fünf Monate alt: Diese Ziele hat sich Hildegard Schnepf gesteckt.
Erste anonyme Briefe
Und eines Tages, da will sie ihren Engel kennenlernen. Die Frau, die ihr ein neues Leben schenkte. Erste anonyme Briefe haben sich die beiden Frauen bereits geschrieben. Persönlich kennenlernen darf Hildegard Schnepf ihre Spenderin erst zwei Jahre nach dem Eingriff - zum Schutz der Spenderin, falls die Therapie misslingt. Doch dann wird sie ihren Engel treffen, der kam, als sie ihn am wenigsten erwartete.