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Wenn Helfer Hilfe brauchen

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Wenn Helfer Hilfe brauchen

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    Kaufbeuren/Bad Reichenhall (rm/scs). - Das Schlimmste, was Feuerwehrmännern während eines Einsatzes passieren kann, ist tote Kinder bergen zu müssen, weiß Helmut Winkler von der Kaufbeurer Wehr. Seine Kameraden in Bad Reichenhall mussten nach dem Einsturz der dortigen Eishalle zwölf Kinderleichen aus den Trümmern holen, zum Teil auch noch von bekannten Familien. Um diese psychische Belastung zu bewältigen, erhalten die Helfer von Bad Reichenhall nun selbst Hilfe von so genannten Peer-Gruppen, zu der auch Winkler aus Kaufbeuren gehört. Vor kurzem war Winkler deshalb als Mitglied eines fünfköpfigen 'Critical Incident Stress Management-Teams' (CISM) in Bad Reichenhall zu einer Einsatznachbesprechung mit 35 dortigen Feuerwehrmännern und -frauen. Im Vordergrund stand dabei laut Winkler Aufklärungsarbeit. Das heißt, die Kameraden erhielten konkrete Tipps, was zu tun ist, wenn ihre Belastungsreaktionen nach drei bis vier Wochen nicht zurückgegangen sind. Laut Winkler ist in einem derartigen Fall eine psychische Behandlung unumgänglich. Total falsch wäre es, die Belastung zu verharmlosen oder gar ohne Maßnahmen abzutun. Auch bei der Kaufbeurer Feuerwehr gibt es immer wieder Einsätze, die die Retter stark belasten. Deshalb wurde eine Peer-Gruppe ins Leben gerufen, der neben Winkler Michael Fichtl und Diakon Siegfried Goldemund angehören. Das Team leistet für die Kollegen nach jedem Einsatz psychologische Arbeit, erklärt Stadtbrandrat Thomas Vogt. 'Damit ist Kaufbeuren eine der ersten Wehren, die sich auf diesem Gebiet fit gemacht hat.'

    Entstanden nach 11. September Peer ist sinngemäß die Übersetzung von Kamerad. Dahinter steckt das Konzept, dass Feuerwehrler aus den eigenen Reihen ihren Kollegen nach einem belastenden Einsatz als Ansprechpartner mit ausgebildeten psychologischen Fertigkeiten zur Verfügung stehen. 'Entstanden sind die Peer-Gruppen nach dem Anschlag auf das World-Trade-Center in New York am 11. September 2001 und nach dem Zugunglück in Eschede', erklärt Siegfried Goldemund. 'Kein einziger Feuerwehrmann, der damals im Einsatz war, konnte seinen Beruf weiterhin ausüben. Diese Erlebnisse haben Spuren hinterlassen, mit denen die Beteiligten nicht fertig geworden waren.' Damit die Feuerwehrmänner kompetente Ansprechpartner in diesen Situationen ha-ben, hat die Kaufbeurer Wehr Helmut Winkler und Michael Fichtl vor einigen Monaten auf einen Peer-Lehrgang geschickt. 'Wir haben gelernt, wie man die Kollegen ‚auffangen’ und eventuelle Verhaltensstörungen diagnostizieren kann', berichtet Winkler. Die Peer-Leute sind sensibilisiert, erste Anzeichen von Depressionen, Schockzuständen und andere durch seelische Belastungen ausgelöste Symptome zu erkennen. 'Jeder geht anders mit dem Erlebten um', so Stadtbrandrat Vogt. 'Die einen machen Witze, die anderen reden ihren Schmerz von der Seele, wieder andere trinken still ihr Bierchen nach dem Einsatz.' Die Peer-Leute sind sich einig: Reden ist die beste Medizin. 'Wir handhaben das schon lange so, dass wir nach jedem Einsatz, egal ob Containerbrand oder Unfall, in der Wache noch zusammensitzen. Das tut uns allen gut und wir kommen gemeinsam vom Adrenalin runter', sagt Fichtl. Ein Gespräch mit den Peer-Leuten ist für alle Feuerwehrmänner freiwillig, viele nehmen allerdings die Ratschläge von Winkler und Fichtl gerne an. Einen Schritt weiter als die Peer-Gruppe geht Siegfried Goldemund. Der frühere Notfallseelsorger ist seit kurzem auch Fachbetreuer Seelsorge bei der Kaufbeurer Feuerwehr. Sein Aufgabengebiet ist die Begleitung und Unterstützung seiner Kollegen. 'Ich wollte einfach einen Feuerwehrlehrgang machen und so bin ich zu meiner heutigen Aufgabe gekommen', erzählt er seinen Werdegang. Aus Altersgründen legt er sein Amt demnächst in jüngere Hände: Alfred Schöllhorn übernimmt die Fachberatung Seelsorge der Kaufbeurer Feuerwehr. Der kaufmännische Angestellte hat im Augsburger Priesterseminar hospitiert. Diese Erfahrung ist laut Goldemund als Fachberater Seelsorge in der Feuerwehr sehr wichtig. Manchmal geht die Arbeit der Peer-Gruppe über die 'Versorgung' der Kollegen hinaus. 'Wenn bei einem Unfall das Kriseninterventionsteam, kurz KIT, nicht rechtzeitig da ist, kümmern wir uns selbstverständlich auch um die Unfallbeteiligten, Angehörigen oder unter Schock stehenden Augenzeugen', sagt Winkler. Damit die Distanz zu den Betroffenen nicht so groß ist, zieht Winkler meist seinen Helm und seine Jacke aus, wenn er auf die Personen zugeht. 'Viele brauchen in dieser Situation einfach jemanden, der einen beachtet und tröstende Worte sagt.'

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