Von Markus Brändle, Memmingen - Eine Hochburg des Verbrechens war Memmingen im Mittelalter nicht gerade. Die am häufigsten ausgesprochene Strafe im Bereich der leichten bis mittleren Kriminalität waren das Prangerstehen und das 'Ausstreichen durch Ruten mit anschließendem Stadtverweis'. Für ihre Dissertation zur 'Geschichte des Strafrechts in der ehemaligen Reichsstadt Memmingen in den Jahren 1551 - 1689' hat sich die gebürtige Saarländerin Sybille Thiel eingehend ins Stadtarchiv vertieft. Nach seiner Kenntnis ist damit zum ersten Mal aus juristischer Sicht eine Wertung des Strafrechtes und der Verfassung der Stadt für den genannten Zeitraum vorgenommen worden, betont Christoph Engelhard, der Leiter des städtischen Archivs, der Sybille Thiel bei ihrem Quellenstudium unterstützt hat. Eine Fundgrube stellten dabei die 'Urgichtbücher' dar, welche die Urteile protokollierten. Viele Strafen muten für das heutige Verständnis drakonisch an. So wurden zur Zeit der Urgichtbücher in Memmingen 57 Menschen enthauptet. Das Abschlagen des Kopfes durch den Nachrichter mit dem Schwert war damit die häufigste 'Lebensstrafe'. Während die Enthauptung als 'ehrliche' Strafe galt und ein anschließendes christliches Begräbnis erlaubte, war das Erhängen, das in Memmingen immerhin 38 Mal vollzogen wurde, eine 'unehrliche' Bestrafung. Besonders drastisch: Beim Erhängen und auch beim Rädern blieb der Körper so lange am Galgen beziehungsweise auf dem Rad, 'bis er abfiel oder von den Vögeln aufgezehrt wurde'. Potenzielle Täter sollten so nachhaltig abgeschreckt werden.
Viele Sittlichkeitsdelikte geahndet Den Löwenanteil der in den Urgichtbüchern verzeichneten Straftaten bildeten die Vermögensdelikte, laut Sybille Thiel ein Hinweis auf das starke soziale Gefälle und eine weithin 'unzureichende soziale Sicherung'. Während zwischen 1551 und 1689 in Memmingen kaum Fälle von Korperverletzung geahndet werden mussten, rangierten 'Sittlichkeitsdelikte' auf Rang zwei der Straftaten. Hierzu zählten 'widernatürliche unzucht, notzucht, hurerey, blutschande, ehebruch, sodomie, polygamie'. Grundlage für die damals gültigen strafrechtlichen Normen war die 'Constitutio Criminalis Carolina' (CCC), eines der wichtigsten Gesetze des Heiligen Römischen Reiches, die vom Kaiser eingeführt wurden. Im 17. Jahrhundert fielen die Bestrafungen laut dem dritten Urgichtbuch etwas milder aus. Eine 'Humanisierung' des Strafvollzugs bedeutete seinerzeit, im Fall von Kindsmord nicht mehr die 'unehrliche' Strafe des Ertränkens zu verhängen, sondern dieses Delikt durch Enthauptung zu sanktionieren. Bei Frauen wirkte sich auch eine Schwangerschaft strafmildernd aus, wie im Fall der Anna Bodenschmiedin, die 1649 aufgrund Diebstahls, Unzucht und Hurerei zum Prangerstehen mit Halseisen sowie Stadtverweis verurteilt wurde. 'Aufgrund der Schwangerschaft', so ist in der Doktorarbeit von Sybille Thiel vermerkt, 'musste sie nur eine Viertelstunde am Pranger stehen'. Im Vergleich zu anderen Städten hatte Memmingen nach der vorliegenden Untersuchung eine 'relativ geringe Verbrechensquote'. Deshalb war in der Stadt auch keine eigene Anklagebehörde eingerichtet.