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Wenn die Feier in der Kinderklinik endet

Marktoberdorf / Ostallgäu

Wenn die Feier in der Kinderklinik endet

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    Wenn die Feier in der Kinderklinik endet
    Wenn die Feier in der Kinderklinik endet Foto: mathias wild

    1,83 Promille. Soviel hatte ein zwölfjähriger Bub intus, als er mit einer Alkoholvergiftung in die Kinderklinik gebracht wurde. Der Bub war der jüngste von 47 Ostallgäuer Kindern und Jugendlichen, die 2009 wegen Alkoholintoxikation ins Krankenhaus - genauer gesagt, in die Kinderkliniken Kaufbeuren oder Kempten - eingeliefert wurden. 32 waren männlich, 15 weiblich.

    "Spitzenreiter" mit 3,12 Promille

    Promille-Spitzenreiter war ein 16-Jähriger mit 3,12. Und bei den Mädchen: eine ebenfalls 16-Jährige mit 2,14 Promille. Mit der Teilnahme am bundesweiten Projekt "Halt" wollen das Jugendamt Ostallgäu sowie das Kaufbeurer Jugendamt dem Problem begegnen und ein Abrutschen der Betroffenen in die Sucht verhindern. Das "zertifizierte, überaus erfolgreiche Projekt" habe sich schon anderenorts bewährt, sagt Nikolaus Augenstein vom Jugendamt Ostallgäu. Ab Juni möchten der Landkreis und Kaufbeuren gemeinsam an dem Projekt teilnehmen und Bundesmittel dafür erhalten.

    Kern von "Halt" ist laut Augenstein die rasche Rektion auf eine Alkoholvergiftung: Sobald der Jugendliche, noch in der Klinik, nüchtern geworden ist, soll ein Mitarbeiter der Caritas-Suchtberatungsstelle Kaufbeuren möglichst bald ans Krankenbett kommen und ein so genanntes Brückengespräch über die Gefahren des Komasaufens führen. Dem müssen aber die Eltern zustimmen, weil die jeweilige Klinik Schweigepflicht hat.

    Werden die Betrunkenen nicht, wie in den allermeisten Fällen, mit dem Rettungsdienst eingeliefert, sondern von der Polizei, ist aus rechtlichen Gründen übrigens keine Zustimmung der Eltern erforderlich. Dann wird automatisch das Jugendamt verständigt. Und dieses benachrichtigt die Suchtberatung. Das ist aber die Ausnahme. Von den 47 Fällen 2009 kamen nur sieben mit der Polizei, weitere sieben wurden von Privatpersonen gebracht, 33 kamen mit dem Sanka.

    Der Beratung am Krankenbett folgt ein Elterngespräch sowie ein so genannter Risikocheck. Dabei nimmt der auffällige Jugendliche an einem eineinhalbtägigen Wochenendseminar zum Thema gefährlicher Alkoholkonsum teil. Das Seminar beinhaltet eine erlebnispädagogische Maßnahme, die in den Kletterzentren des Alpenvereins in Kaufbeuren und in Rieden am Forggensee durchgeführt wird.

    Es geht darum, Risiken zu erleben und besser einzuschätzen: Ein kontrollierter Kick soll helfen, den richtigen Umgang mit Alkohol zu erlernen. Augenstein zufolge ist nicht jeder Jugendliche mit Alkoholvergiftung suchtgefährdet: "Die Vorstellung, zum zweiten Mal eine Alkoholvergiftung zu erleben, ist für manche abschreckend genug." Und keineswegs stammten die Betroffenen immer aus schwierigen Familienverhältnissen, betont er. Der eingangs erwähnte 12-Jährige etwa komme aus gutem Elternhaus und ist engagiert im örtlichen Fischerei- und Sportverein.

    13000 Euro Kosten

    Die Kosten für das vorerst ein Jahr laufende Projekt werden mit 13000 Euro beziffert, wovon der Bund 80 Prozent übernimmt. Einen Teil der Kosten tragen auch Krankenkassen wie etwa die AOK. Wenn sich manche Sponsoren langfristiger engagieren, kann sich Augenstein vorstellen, dass das Verfahren fortgesetzt wird, auch ohne Bundeszuschuss: Dieser sei "nur eine Anschubfinanzierung".

    Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ging der - mindestens einmal wöchentliche - Alkoholkonsum bei 12- bis 17- Jährigen von 21,2 Prozent im Jahr 2004 auf 17,4 Prozent (2008) zurück.

    "Dennoch konsumiert 6,2 Prozent dieser Zielgruppe eine selbst für Erwachsene riskante Alkoholmenge und zeigt somit ein Trinkverhalten, das lebensbedrohlich sein kann", betont Augenstein. Zudem würden die Betroffenen immer jünger.

    Weiterhin verschickt werden übrigens im Ostallgäu "Blaue Briefe" an Eltern, deren Kinder im öffentlichen Raum trinken - sofern es dem Jugendamt durch Jugendschutzkontrollen bekannt wird. Von dort erhalten die Eltern ein Anschreiben mit der Aufforderung, sich mit dem Alkoholproblem ihres Kindes auseinanderzusetzen und Infos über Beratungsangebote sowie langfristige Hilfen wie Familienhilfe oder Erziehungsbeistand. (hkw, mab)

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