0,99 Promille. Soviel hatte ein zwölfjähriger Bub aus Kaufbeuren intus, als er 2009 wegen einer Alkoholvergiftung in die Kinderklinik gebracht wurde. Es handelte sich um den jüngsten von insgesamt 44 Fällen, bei denen Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre ins Krankenhaus kamen. 27 stammten dabei aus der Stadt, 17 aus angrenzenden Umlandgemeinden. Promille-Spitzenreiter war ein 17-Jähriger mit einem Wert von 3,18. Und bei den Mädchen: eine 16-Jährige mit 2,79 Promille. Mit der Teilnahme am bundesweiten Projekt "Halt" (siehe Infokasten) möchte das Kaufbeurer Jugendamt in Kooperation mit dem Jugendamt am Landratsamt Ostallgäu diesem Problem begegnen. Dieses habe sich schon andererorts bewährt, erläutert Werner Maurer, stellvertretender Leiter des Kaufbeurer Jugendamtes. Ab dem 1. Juni wollen Stadt und Land an dem Projekt teilnehmen und auch Bundesmittel dafür erhalten.
Kern von "Halt" ist eine sehr rasche Rektion auf eine Alkoholvergiftung: Sobald der Jugendliche, noch in der Klinik, nüchtern geworden ist, soll ein Mitarbeiter der Suchtberatungsstelle - in Kaufbeuren wird die von der Caritas in der Hirschzeller Straße betrieben - möglichst bald ans Krankenbett kommen und ein so genanntes Brückengespräch über die Gefahren des Komasaufens führen. Dem müssen aber erst die vom Krankenhaus verständigten Eltern zustimmen, weil das Klinikum Schweigepflicht hat. "Wir wissen allerdings, dass viele Eltern dankbar sind, wenn sie in dieser Situation ein Hilfsangebot erhalten", erläutert Maurer. Insofern sei damit zu rechnen, dass in den meisten Fällen die Eltern ein grünes Licht erteilen.
Keineswegs stammen die Kinder und Jugendlichen übrigens nur aus bildungsfernen Bereichen. "Das geht durch alle Schichten." Werden die betrunkenen jungen Leute nicht, wie in den allermeisten Fällen, mit dem Rettungsdienst eingeliefert, sondern von der Polizei, ist aus rechtlichen Gründen übrigens keine Zustimmung der Eltern erforderlich. "Dann wird automatisch das Jugendamt verständigt", so Maurer. Und dieses benachrichtige die Suchtberatungsstelle. Dieser Weg in die Klinik ist allerdings eher der Ausnahmefall. Von den 44 angeführten Fällen im Jahr 2009 kamen nur sieben mit der Polizei, die meisten mit dem Sanka.
Aus anderen Kommunen weiß man, dass "Halt" gut angenommen werde. Dem Brückengespräch folgt dann ein so genannter Risikocheck. Dabei nimmt der auffällige Jugendliche nach einiger Zeit an einem eineinhalbtägigen Wochenendseminar teil. Eine Art Intensivkurs zum Thema gefährlicher Alkoholkonsum. Erlebnispädagogik soll helfen, eigene Risiken besser einzuschätzen. "In Kaufbeuren bietet sich da das Klettern an, weshalb wir auch in Kontakt zum Alpenverein mit seinem neuen Kletterturm stehen."
Die Kosten für das ein Jahr laufende Projekt werden mit 13000 Euro beziffert, wovon 80 Prozent der Bund trägt. Einen Teil der Kosten tragen auch manche Krankenkassen wie etwa die AOK. Maurer kann sich vorstellen, dass das Verfahren nach der Projektphase fortgesetzt wird, auch ohne Bundeszuschuss - wenn es sich bewährt.
Insgesamt habe sich das Thema Trinken im öffentlichen Raum in Kaufbeuren beruhigt, auch das Rosental sei kein großes Thema mehr. Keinen Einfluss hat die Kommune natürlich auf Feiern im privaten Raum oder das so genannte "Kofferraumsaufen". Maurer hält die Trinksitten für eine Modeerscheinung, die auch wieder verschwinden kann. Ende der 1990er Jahre zum Beispiel war der Alkoholkonsum unter Jugendlichen schon einmal geringer geworden.
Weiterhin verschickt werden übrigens "Blaue Briefe" an Eltern, deren Kinder im öffentlichen Raum trinken (wir berichteten) - sofern es dem Jugendamt bekannt wird. Gingen 2008 noch 36 solche Briefe raus, so waren es 2009 nur noch 27 - zumindest eine gewisse Reduktion, welcher Ursache auch immer. Eine gänzlich rauschfreie Jugend wird es aber wohl nicht geben: "Das Problem herrscht überall, landauf, landab", so Maurer.