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Weiter Weg vom Fell zum Leder

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Weiter Weg vom Fell zum Leder

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    Gerbermeister Otto Eberhart betreibt ein aussterbendes Handwerk - Haben Sie Marder? Von Veronika Krúll Hindelang Haben Sie Marder? Während sich der geplagte Autofahrer bei dieser Frage mit Grausen wendet, eingedenk zerbissener Kabel und Gummischläuche, lächelt Otto Eberhart aus Hindelang freundlich und verspricht, ein besonders schönes Exemplar der possierlichen Tierchen zu besorgen. Nun ist Eberhart freilich weder Autofeind noch Tierhändler, sondern Gerbermeister! Und die Kundin, die in seinem 300 Quadratmeter großen Ladengeschäft in Bad Oberdorf nach einem Marder fragt, träumt angesichts der ersten Schneeflocken von einem kuschelig warmen Winterkragen. Natürlich fertigt Otto Eberhart in seiner großen Werkstatt unten an der Ostrach nicht nur Pelzkrägen, sondern auch maßgeschneiderte Lederhosen oder Lederjacken an, überwiegend auf Bestellung. Den Großteil seiner Lederproduktion verkauft er allerdings nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich oder sogar nach Norwegen. Im Einkauf geht es erst recht international zu. Bis zu viermal im Jahr war Sohn Stefan Eberhart in der halben Welt von Kanada bis Neuseeland, aber auch in Europa unterwegs, um Felle einzukaufen. Felle aus Allgäuer Heimat Aus der Allgäuer Heimat stammen dann Felle von Mardern, Füchsen, Rehen, Gämsen, Hirschen oder Schafen sowie Rindshäute. Die Felle erhielt Stefan Eberhart von Metzgern, Jägern und Fellhändlern. Die Rohmaterialien sind lediglich gesalzen, um sie kurzfristig haltbar zu machen. Eigentlich logisch, dass die wenig appetitlichen Teile erst mal in die Waschmaschine wandern in riesengroße hölzerne Trommeln mit einem Fassungsvermögen von rund 5000 Litern. Nach dem 24- bis 35-stündigen Weichvorgang werden die Felle grob zugeschnitten. Wenn sie zu Leder weiterverarbeitet werden sollen, werden sie wieder in die Fässer zurückgelegt, damit sie in einer Mischung aus Wasser, Kalk und Schwefel enthaart werden können. Danach steht für die jetzt nackten Häute, im Fachjargon Blößen genannt, ein Spülvorgang an. Drei bis 20 Tage liegen die Blößen in Weißkalk, um sie weich zu machen.

    Schließlich, nach nochmaligem Spülen und dem Entfernen von restlichen Fleischfasern, wird den bearbeiteten Häuten auf der Spaltmaschine die Oberhaut entfernt, damit sie später für Lederhosen, Fensterleder, orthopädische und technische Leder verwendet werden können. Danach beginnt der eigentliche Gerbvorgang: Die Blößen werden mit 200 bis 300 Liter Fischöl, das als besonders hautverträglich gilt, oder anderen Gerbstoffen für 48 Stunden abermals in das Fass gegeben. Erst die geölten Blößen werden dann als Leder bezeichnet. Nach einer Trockenzeit von mehreren Monaten werden die Leder gewaschen und nochmals getrocknet, bevor sie dann zweimal, per Maschine und per Hand, geschliffen und nach den Wünschen des Kunden gefärbt werden. Fingerspitzengefühl notwendig Eine fürwahr langwierige Prozedur, die viel Geschick und Fingerspitzengefühl erfordert und sehr arbeitsintensiv ist. Eine 60-Stunden-Woche, sagt Otto Eberhart, sei nicht ungewöhnlich. Vielleicht auch dehalb betreibe er ein aussterbendes Handwerk, fügt der Gerbermeister etwas wehmütig hinzu. Sein Unternehmen ist eins von zweien im Allgäu und von nur noch rund 60 in ganz Deutschland. Tragischer Betriebsunfall Otto Eberhart, der im nächsten Monat seinen 65. Geburtstag feiert, würde seinen Betrieb, der 1903 von seinem Großvater Otto gegründet wurde, jetzt gern in jüngere Hände legen. Doch der einzige Sohn, der schon fünf Jahre lang das Geschäft geleitet hat, verlor im vergangenen Jahr bei einem tragischen Betriebsunfall sein Leben. Und alle hochfliegende Pläne, etwa die Gerberei nach Argentinien auszulagern, waren mit dem Tod über Nacht hinfällig, klagt der Vater. Aber wenn jemand mit Engagement käme Otto Eberhart hofft auf die Zukunft und führt derweil gemeinsam mit seiner Frau und den Mitarbeitern Werkstatt und Ladengeschäft weiter, auch, um die jüngsten Ereignisse durch Arbeit zu verdrängen.

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