Ihre Welt beginnt erst unter der Wasseroberfläche. Forschungstaucher und Wasserarchäologen haben es sich zur Aufgabe gemacht unsere Geschichte durch Geheimnisse, die am Grund von Gewässern liegen, aufzudecken. Auch am Bodensee sind die Experten im Einsatz.
Sie erforschen Moore und den Grund von Flüssen, Meeren und Seen: Unterwasserarchäologen suchen nach kulturellen Schätzen aus längst vergangener Zeit. Mit Tauchausrüstung erkunden sie unter Wasser, was aus dem Mittelalter oder sogar noch aus der Steinzeit übrig geblieben ist. Die Disziplin ist noch relativ jung in Deutschland. Inspiriert von Kollegen aus Zürich wagten sich Anfang der 1980er Jahren auch deutsche Forschungstaucher am Bodensee in die Tiefe. Für die Unterwasserarchäologie ist das Binnengewässer ein wichtiges Forschungsfeld.
"Es ist faszinierend, wie gut die Funde erhalten sind"
"Es gibt viele faszinierende Dinge im Bodensee", sagt Unterwasserarchäologe Martin Mainberger, der zu den Pionieren aus den 80er-Jahren gehört. Seit Jahrzehnten ist er schon im Auftrag der Wissenschaft unterwegs und bildet künftige Unterwasserarchäologen aus. Forschungstaucher seien - wie die Archäologen an Land - im Einsatz für die Denkmalpflege.
Entdeckungen unter Wasser seien besonders gut erhalten, weil sie nicht mit Sauerstoff in Berührung gekommen seien, sagt Mainberger. "Wir können die Funde jahresgenau, manchmal sogar auch jahreszeitlich genau zurückdatieren." Damit habe man archäologische Quellen, die man an Land nicht habe.
"Es ist faszinierend, wie gut die Funde erhalten sind", sagt auch Unterwasserarchäologin Julia Goldhammer vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. Auch Textilien, Leder und Essensreste blieben unter Wasser in relativ gutem Zustand. Manchmal lasse sich sogar sagen, aus was die Eintöpfe oder Breie in den Gefäßen bestanden hätten. "Archäobotaniker können rekonstruieren, um was für Nahrungsmittel es sich gehandelt haben könnte", so die Forscherin.
Im Bodensee gibt es immer noch unentdeckte Geheimisse
Die Arbeit unter Wasser sei komplizierter als an Land und man habe wegen der technischen Möglichkeiten weniger Zeit am Fundplatz. Aber allein wegen der gut erhaltenen Funde lohne sich der Aufwand. Die prähistorischen und weltberühmten Pfahlbauten am Bodensee gehören zu den wichtigsten archäologischen Stätten. Der See sei schon sehr gut erkundet, sagt Goldhammer. Doch es gebe immer wieder neue Einzelfunde.

Bodensee
Rätselhafte Objekte: Forschungstaucher gehen uralten Steinhügeln auf den Grund
So wurde 2015 in Wasserburg auf der bayerischen Seeseite ein 3.000 Jahre altes Wasserfahrzeug, ein Einbaum, gefunden. Ein paar Jahre später meldeten Forscher 2021 in der Nähe von Konstanz den Fund eines 4.000 Jahre alten Einbaums.
Mittelalterliche Phalreihen sorgen für Aufsehen
Aktuell sorgt die Entdeckung von Pfahlreihen aus dem Mittelalter in einer Flachwasserzone vor der Klosterinsel Reichenau für Aufmerksamkeit. Die Forscher konnten die Bauwerke durch die Jahrringe der Hölzer auf den Zeitraum zwischen 909 und 910 nach Christus datieren. Die genaue Datierung ist den Experten zufolge dank des guten Zustands der Pfähle unter Wasser möglich. Sie gehen davon aus, dass die drei bisher entdeckten Pfahlreihen zur Lenkung des Schiffsverkehrs am Nordufer der Insel angelegt wurden.
Die überwiegend aus Eiche errichteten Bauwerke könnten laut Experten in der Blütezeit des Klosters entstanden sein, das im Jahr 724 gegründet wurde. Eine Forschungstauchergruppe hat bisher Dutzende Proben von den rund 1.300 Pfählen genommen. Etwa 2.500 Hölzer vermuten die Archäologen insgesamt.
Forschungstauchen ist nicht einfach
Für die Arbeit an den Fundstellen sind die Taucher bis zu drei Stunden unter Wasser - und das bei klirrender Kälte. "Dazu muss man nicht nur einen guten Tauchanzug haben, sondern auch belastbar und sehr gesund sein", sagt Mainberger, der auch zu dem Reichenauer Team gehört. Im Jahr 2009 untersuchte er vor der Insel bereits ein mehr als 600 Jahre altes Schiffswrack, das zufällig entdeckt worden war. Das Besondere an solchen Funden? "Schiffswracks geben Einblicke in die fortgeschrittene Technik der damaligen Zeit."
Bodensee war für Menschen schon immer ein Dreh- und Angelpunkt
Der Bodensee sei eine Drehscheibe in der Stein-, Bronze- und der Zeit des Mittelalters gewesen, ein Motor für kulturelle Entwicklung. "Für die jeweiligen Zeitgenossen war es eine riesige Wasserfläche, wo kulturelle Stränge zusammenkamen, wie an nicht sehr vielen Orten in unserem Raum", sagt der Forscher. Die Fragestellungen der Archäologie an Land und der unter Wasser seien die gleichen: "Wie haben die Menschen gelebt? Wie haben Gesellschaften funktioniert? Wie hat man sich Kommunikation vorzustellen?" Darauf Antworten zu finden, sei die Aufgabe.