Startseite
Icon Pfeil nach unten
Allgäu
Icon Pfeil nach unten

Von Menschen, die zur Schaufel greifen

Interview

Von Menschen, die zur Schaufel greifen

    • |
    • |
    Von Menschen, die zur Schaufel greifen
    Von Menschen, die zur Schaufel greifen Foto: veronika.krull@t-online.de (

    175. Geburtstag feiert die Eisenbahn in Deutschland. In der Region selbst ist das stählerne Dampfross nicht ganz so alt: Erst 1853 war die Bahnstrecke Immenstadt-Lindau fertig, 1873 die bis Sonthofen und 1888 bis Oberstdorf. Viel hat sich seither getan. Der Sonthofer Eugen Wutz hat 44 Jahre Eisenbahngeschichte miterlebt und in verschiedensten Positionen begleitet. Er war unter anderem 25 Jahre Personalratsvorsitzender und geistiger Vater des 1993 eingeführten Allgäu-Schwaben-Taktes.

    Was fällt Ihnen auf, wenn Sie die Eisenbahn einst und jetzt vergleichen?

    Wutz: Früher war alles menschlicher und es gab mehr Beschäftigte. Heute ist es eine andere Bahn, sind die Mitarbeiter nur im Stress. Wenn ich an den Bahnhof Sonthofen denke: Da haben mal 65 Menschen gearbeitet; jetzt gibt es noch einen am Schalter. Wir hatten früher viel Kontakt mit Reisenden, konnten oft helfen, Service bieten.

    Ein Beispiel?

    Wutz: In Oberstaufen gab ein Mann als Gepäckstück ein kaputtes Blumenregal auf. Als es in Sonthofen ankam, dachte ein Mitarbeiter, der Schaden stamme von der Fahrt. Weil er schreinern konnte, reparierte er das Regal. Der Bahnkunde hat sich gewundert und zugleich gefreut.

    Und der technische Fortschritt?

    Wutz: Auch da hat sich viel verändert. Früher gab es zum Beispiel keine Weichenheizung. Da musste man im Winter schaufeln. Heute haben die Weichen eine Heizung - und schneit es zu stark, geht trotzdem nichts, weils keine Leute mehr gibt, die vor Ort zur Schaufel greifen.

    Wie sind Sie zur Bahn gekommen?

    Wutz: Schon als kleiner Bub habe ich den Zügen beim Rangieren am alten Bahnhof - also beim Sonthofer Friedhof - zugeschaut und durfte sogar in der Dampflok mitfahren. Da drin wars heiß. 1950 habe ich dann als Jungwerker bei der Bundesbahn angefangen, also im unteren Dienst. Ich habe beim Rangieren geholfen, beim Ladedienst im Bahnhof. Nach Ende der Lehrzeit wurde ich Streckenarbeiter und kenne daher auch den Umgang mit der Schottergabel.

    Mein Glück war, dass ich in der Lehrzeit beim Bahnhof Altstädten war. Dort habe ich den Gesamtdienst an Bahnhöfen kennengelernt und auch noch den Telegrafen bedienen dürfen.

    Das wars?

    Wutz: Nein. Ich möchte die vorangegangenen Tätigkeiten nicht missen, weil es mir in der Gesamterfahrung, auch in späteren Jahren viel einbrachte. Doch ich wollte mehr und habe die Eisenbahn-Fachschule besucht. Es folgte Arbeit am Gepäck- und am Fahrkartenschalter in Oberstdorf. Mit 21 Jahren wurde ich Fahrdienstleiter in Altstädten, arbeitete später auch in Fischen, Sonthofen und Immenstadt. In Sonthofen führten mir die Zugbegleiter auch Schüler vor, die im Zug Unsinn gemacht hatten. (Wutz grinst) Dabei war ich früher auch nicht besser.

    Dazu kam die soziale Verantwortung für die Kollegen?

    Wutz: Ja, ob in Sonthofen, Immenstadt oder später in Kempten: Immer wieder wurde ich Personalratsvorsitzender, zuletzt verantwortlich für rund 650 Beschäftigte. Da hat man mit allen Unzulänglichkeiten des Lebens zu tun.

    Gibt es da auch lustige Erinnerungen?

    Wutz: Viele. Etwa an die Partyzüge, die trinkfreudige Rheinländer ins Oberallgäu brachten. Die Züge kamen zum Reinigen nach Kempten. Dort war einmal ein Mitarbeiter total betrunken; er hatte beim Säubern des Zuges herumstehende Flaschen geleert. Den hohen Promillepegel begründete er mit den Worten: Der Zug war sooo lang. Leider war Alkohol auch immer wieder ein Problem. Umso mehr freut es mich, wenn ich heute noch Kollegen treffe, die da wieder rausgekommen sind.

    Wie halten Sie vom Großprojekt Stuttgart 21 und der kleinen Oberallgäuer "Variante", der im Bau befindlichen Bahnbrücke bei Thanners?

    Wutz: Ich habe mir einige Schlichtungsdiskussionen im Fernsehen angeschaut und lobe Heiner Geißler für seine Geduld. Es ist richtig, Stuttgarts Bahnhof durchgängig zu machen; so wird der Ost-West-Verkehr deutlich schneller. Zur Brücke in Thanners will ich nicht viel sagen: Durch die neue B19 ist der Verkehrsdruck am Bahnübergang nicht mehr so stark. Hätte man die Brücke vor 50 Jahren gebaut, wären uns viele Unfälle erspart geblieben.

    Haben Sie Unfälle in Erinnerung?

    Wutz: Ja, zum Beispiel den Zusammenstoß zweier Züge im Bahnhof Fischen 1972. Dort wurde eine Weiche umgestellt, bevor auch der hintere Teil des letzten Waggons drübergefahren war. Dadurch geriet das Heck aufs Nachbargleis. Dem für den Unfall verantwortlichen Kollegen ist rechtlich fast nichts passiert. Ich hatte nämlich schon Jahre vorher die damals gravierenden Sicherheitsmängel auf der Strecke angeprangert. Nach dem Unfall gab es Verbesserungen. Eine falsch bzw. zu früh gestellte Weiche war auch Ursache bei dem schweren Zugunglück in Immenstadt, bei dem im Februar 1999 zwei Menschen starben.

    Das Gespräch führte Ulrich Weigel.

    "Mehr Berichte zum Thema Seite 1, 2 und 3, Bayern, Politik, Sport, Kultur, Aus aller Welt, Wirtschaft und Reise.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden