Architekturlandschaft im Allgäu: Nicht immer setzt sich die Ästhetik durch. Von Michael Dumler Kempten/Memmingen Architektur heute ein weites und auch schwieriges Feld. Die kontrovers geführte Diskussion um den geplanten Abriss der St.- Ulrichs-Kirche in Kempten (wir berichteten) wirft Fragen auf: Wie sieht derzeit die Allgäuer Architektur-Landschaft aus? Ist ein einheitlicher Stil erkennbar? Nach welchen Gesichtspunkten wird heute gebaut?
'Architektur ist immer ein Suchen', sagt Hans Felkner (Martinszell), Vorstandsmitglied der bayerischen Architektenkammer und Vorsitzender des Bundes deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure (BDB), Bezirksgruppe Kempten-Sonthofen. Felkner glaubt, dass gerade Architektur-Wettbewerbe dem Stil der Zeit unterliegen 'Wenn viele Architekten ihren Geist schwirren lassen, kommt eine ganze Menge an Ideen zusammen.' Beste Beispiele seien die neue Justizvollzugsanstalt in Kempten, das Polizeigebäude in Immenstadt oder das Finanzamt in Memmingen. Der Wettbewerb um das 'All-gäu-Haus' im letzten Jahr habe versucht, Architektur für das Allgäu neu zu definieren.
Wer sich mit Allgäuer Architekten über heutige Bauweisen unterhält, wird freilich oft mit Kritik konfrontiert. Da ist von architektonischen Verschnitten, baulicher Konfusion und von wenig Mut zu Eigenständig-Charaktervollem die Rede. Die Einstellung vieler Bauherren, dass ein kleines Einfamilienhaus heutzutage Attribute einer großen Villa haben müsse, ist vielen Architekten ein Dorn im Auge. Während die Landwirtschaft zu Großformen tendiere (größere Stadel und Ställe), setzen im privaten Wohnungsbau die Bauherren auf 'Klein-Klein', müssen Erker, Wintergärten und Dachgaupen eingeplant werden. Diese Erkeritis sei fürs Allgäu eigentlich nicht typisch, kritisiert auch Hans Felkner.
Für BDA (Bund Deutscher Architekten)-Preisträger Wilhelm Huber aus Betzigau muss ein Gebäude primär funktionieren. Städtebauliche Aspekte und Wirtschaftlichkeit sind für den 45-Jährigen wichtiger als die Frage nach der Ästhetik: 'Architektur ist keine Frage des Geschmacks, sondern der Qualität.' Ähnlich sieht es Aloys Hinske, Baureferent der Stadt Memmingen. 'Architektur kann nicht jedem gefallen. Aber man muss die Qualität erkennen können.' Wie Felkner hält auch Hinske die Architektur des neuen Memminger Finanzamts für gelungen. In städtebaulicher Hinsicht gelte es hinsichtlich eines Abrisses, Um- oder Neubaus fallbezogene Entscheidungen zu treffen. Das Bestehende müsse gleichwohl für Veränderungen offen sein. 'Alles nur stilisieren, ist auch nicht gut', warnt Hinske.
Aber nicht nur die Fassade eines Gebäudes müsse stimmen, sondern auch das Raumpro-gramm, die Wirtschaftlichkeit, die Ökologie und auch das Wohlfühlen der Bewohner, fügt Felkner hinzu. Von 'individualistischer Selbstdarstellung' der Bauherren oder Archi-tekten hält der BDB-Vorsitzende nichts.