Von Manuel Stangorra, Bad Grönenbach-Zell - Konzentriert blickt Julia auf die Tasten, griffsicher zielt sie, schlägt blitzsauber die Akkorde in Sergej Prokofjews 'Teuflischer Einflüsterung', einem äußerst schwierigen Werk für Klavier solo. Ein Farbspektrum aus Tönen erfüllt das Wohnzimmer ihres elterlichen Hauses in Bad Grönenbach. Ein paar Augenblicke später lässt das aufgeschlossene Mädchen Glissandi mit einer technischen Souveränität erklingen, als sei es gar nichts. Am 11. Mai ist Julia Rinderle 14 Jahre alt geworden, aber ihre Interessen unterscheiden sich von denen anderer Mädchen in ihrem Alter. Zahlreiche Konzerte hat sie bereits bestritten und mehrfach erste Preise beim Wettbewerb 'Jugend musiziert' sowie weitere Preise beim Schumann-Wettbewerb in Zwickau und beim Bach-Wettbewerb in Köthen gewonnen. Vor rund zwei Wochen hat sie das erste Mal mit einem großen Sinfonieorchester - dem Orchesterverein Ulm/Neu-Ulm - im Edwin-Scharff-Haus in Neu-Ulm als Solistin das Klavierkonzert Nr. 1, Des-Dur von Sergej Prokofjew musiziert. 'Es hat alles sehr gut geklappt', sagt die Schülerin der achten Klasse am Memminger Vöhlin-Gymnasium. Und sie äußert das mit einer Selbstverständlichkeit, die erstaunt, gehört das Opus 10 des russischen Komponisten doch zum etablierten Kanon der Profi-Klavierliteratur. Nicht von ungefähr hat Julia das Werk eines russischen Meisters ausgesucht. Ihre Klavierlehrerin ist die aus Novosibirsk stammende Pianistin Ludmila Lissovaja, die ihre Schülerin an der Musikschule der Stadt Memmingen seit 1997 unterrichtet. Da liegt die Affinität zur so genannten Russischen Schule, einer besonders strengen nationalen Ausrichtung innerhalb der Klavierpädagogik, natürlich nahe, fügt Mutter Eva-Maria Rinderle ein, die selbst als Blockflötenlehrerin an dieser Musikschule arbeitet. Sie hat ihre Tochter stets gefördert und nach Möglichkeiten unterstützt und wird das auch in Zukunft tun. So lernt Julia als Zweitinstrument Violine. Gerade spielt sie das Bach-a-Moll-Violinkonzert und beweist, dass sie nicht nur Töne aneinander reiht, sondern den Sinn der Musik völlig verinnerlicht hat. Allerdings übt sie lieber und ausgiebiger Klavier, ihr Hauptinstrument: 'Ich sitze an den Feiertagen und Wochenenden schon mal vier bis sechs Stunden dran', gibt die hochbegabte Pianistin unverblümt zu. Mit weniger Übungszeit lässt sich eine wirklich solide Solistenkarriere auch nicht aufbauen. Und genau die hat die Grönenbacherin fest im Visier: 'Das Musikstudium ist mein Ziel.'
Ein ganz normales Mädchen Nach ihrem Erfolg in Neu-Ulm studiert sie jetzt ein neues Klavier-Programm ein: Chopins 3. Ballade As-Dur, die Mozartsonate B-Dur KV 333 und aus dem berühmten Wohltemperierten Klavier von Bach Präludium und Fuge D-Dur. Dass die Pianistin auch gern im örtlichen Baggersee zum Baden geht, mit Inlinern die Gegend unsicher macht und am liebsten einen eigenen Internetanschluss hätte (den die Mutter ihr noch nicht genehmigt hat, aber inzwischen zugesteht, dass so etwas heute dazugehört) zeigt, dass Julia nicht unter einem Zwang handelt, sondern ein ganz normales Mädchen ist, wie jedes andere auch. Nur hat sie darüber hinaus die besondere Begabung der Musikalität - und damit versucht sie, sorgfältig umzugehen.