Startseite
Icon Pfeil nach unten
Allgäu
Icon Pfeil nach unten

Vom Kaufrausch und anderen Süchten

Allgäu

Vom Kaufrausch und anderen Süchten

    • |
    • |

    Dieter Lattmann konfrontiert Jugendliche mit seinen Thesen Von Iris Voracek Immenstadt. Das Haar ist etwas zerzaust, lässig seine Kleidung mit der Lederweste über dem weißen Hemd. Dennoch biedert sich Dieter Lattmann, freier Autor und früher unbequemer SPD-Bundestagsabgeordneter, bei den Oberstufen-Schülern des Immenstädter Gymnasiums nicht an. Der 73-Jährige geht immer noch konsequent seinen eigenen Weg weiter, auch mit seinem neuen, noch nicht erschienenen Buch Fernwanderweg, aus dem er den jungen Leuten vorliest. Es geht um Drogensucht. Dieter Lattman ist nicht der Mensch, der mit dem erhobenen Zeigefinger eines Moralapostels auf Jugendliche zugeht. In der Schulklasse und am Abend zuvor vor Eltern und Lehrern nähert er sich dem Thema mit Sensibilität und Einfühlungsvermögen, aber auch mit einem klaren Standpunkt. Jeder schreibt, was ihn im Leben wirklich bewegt. Schriftsteller wählen sich bestimmte Themen nicht, sondern sie werden zu bestimmten Themen gewählt, glaubt er. Anlass zu Lattmanns neuem Buch waren die zwei Junkie- und Alkoholiker-Schicksale in seinem eigenen Umfeld. Die Brücke zu den Süchtigen war meine eigene Hilflosigkeit damals, erzählt der gebürtige Potsdamer, der mit seiner Frau einige Jahre in Immenstadt lebte und heute in München wohnt. Um sich für sein Buchvorhaben zu dem Thema in die Mentalität von Junkies besser hi-neinversetzen zu können, hat Dieter Lattmann ein Praktikum in einer Therapie-Klinik absolviert. Sonst hätte ich gar nicht erst das Gespräch mit Junkies gefunden, meint er.

    Die Frage, die er den Abhängigen stellte, bewegt ihn noch heute. Und er stellt sie auch den Jugendlichen in Immenstadt: Was kann man als Vater eines Abhängigen überhaupt richtig machen? Die Frage nach einer Schuld von Angehörigen und der Gesellschaft ist Lattmanns zentrales Thema, auch im Buch. Lattmann beschreibt darin den harten Weg eines Junkies und eines Alkoholikers, die nach einer Therapie den Fernwanderweg E 5 gehen, um ihre innere Stabilität zu prüfen. Am Ende des Romans nimmt sich einer der beiden das Leben. In seiner Hemdtasche steckt ein Zettel mit dem Satz, dass niemanden Schuld treffe. Dieter Lattmann ist anderer Meinung: Die Gesellschaft und ihre Konsumorientierung trage die Hauptschuld an der Drogenproblematik. Hier werden Kaufräusche geradezu erzeugt. Das Kaufen wird durch die Werbung zu einer Droge, sieht der Sozialdemokrat Zusammenhänge zwischen Suchtverhalten auf verschiedenen Ebenen. Sind diese Süchte eine Zeiterscheinung, fragt eine Schülerin. Ja!, ist sich Lattmann sicher. Und führt das Rauchen, die tödlichste Droge Deutschlands und das am weitesten verbreitete Suchtverhalten zur Untermauerung seiner These an. Unverständnis zeichnet sich bei diesem Thema in einigen Gesichtern ab. Warum er Zigaretten zu den Drogen zähle, fragt eine Schülerin. Lattmann antwortet mit seinen Erfahrungen in der Suchtklinik: Ein Rauchverbot würde dazu führen, dass die Klinik geschlossen werden müsste, weil kein Süchtiger bereit sei, das Rauchen aufzugeben, hatte ihm der Klinikleiter damals auf eine entsprechende Frage geantwortet. Noch eine Überlegung gibt Lattmann seinen Zuhörern mit auf den Weg: Wirklich frei zu sein, kann niemals heißen, sich einer Droge zu unterwerfen, egal welcher.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden