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Viel zu wenig! Wie Laien Gerichtsurteile bewerten und wie Schuldsprüche entstehen

Justiz

Viel zu wenig! Wie Laien Gerichtsurteile bewerten und wie Schuldsprüche entstehen

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    Viel zu wenig! Wie Laien Gerichtsurteile bewerten und wie Schuldsprüche entstehen
    Viel zu wenig! Wie Laien Gerichtsurteile bewerten und wie Schuldsprüche entstehen Foto: Michalik

    Der Prozess gegen den ehemaligen Chef-Drogenfahnder Armin N., schwere Gewalttaten oder prominente Angeklagte: Bei aufsehenerregenden Prozessen urteilt die Öffentlichkeit mit. Oft sind sich die Bürger einig: Die Strafe fällt zu milde aus.

    Fragt man dagegen Rechtsprofessoren oder Richter, ist das Urteil im Rahmen der Vorgaben. Woher kommt diese unterschiedliche Wahrnehmung und wie entsteht ein Urteil? Wir haben mit Robert Kriwanek, Richter und Pressesprecher des Landgerichts Kempten, über das Thema Strafzumessung gesprochen.

    Es ist Montag, der 9. Februar 2015. Gerade hat Richter Thorsten Thamm das Urteil gegen den ehemaligen Chef-Drogenfahnder der Kemptener Polizei gesprochen. Armin N. hatte seine Frau schwer misshandelt und in seinem Dienstspind 1,8 Kilogramm Kokain gebunkert. Das Gericht verurteilt Kommissar Koks zu sechseinhalb Jahren Haft und zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Kurz darauf kommentieren die ersten unserer Nutzer auf facebook: Viel zu wenig!, ... eine Frechheit. Bis zum Abend hin werden es über 200 User-Beiträge sein, fast alle mit dem gleichen Tenor. Neben der Kritik an der vermeintlich fehlenden Aufklärung, ist den Nutzern das Urteil viel zu gering.

    Und auch vor dem Gerichtssaal beschweren sich Prozessbesucher über das zu milde Urteil. Mitten in einer Menschentraube aus Journalisten und Besuchern steht Robert Kriwanek. Er erklärt den Menschen vor Ort die Grundsätze der Strafzumessung. Bereits vor dem Prozess gab er uns ein ausführliches Interview zum Thema.[/p]

    Zunächst muss sich das Gericht an die Vorgaben der Gesetze halten, sagt der Pressesprecher. Das heißt: Ein Richter hat für ein bestimmtes Verbrechen einen bestimmten Strafrahmen, in dem er urteilen muss. Er muss aber auch beachten, wie sich ein Täter zum Beispiel nach der Tat verhalten hat. Auch ob der Täter vorbestraft ist, ob er ein Geständnis abgelegt oder ob der Täter ernsthaft Reue gezeigt hat, muss der Richter für das Strafmaß beachten. So auch im Fall des ehemaligen Leiters der Kemptener Drogenfahndung. Ihm rechnete das Gericht an, dass er ein Geständnis abgelegt hatte und nicht vorbestraft war. Außerdem zahlte er 35.000 Euro als Wiedergutmachung an seine Frau.

    Kriwanek macht es am Bildnis der Justitia, der personifizierten Gerechtigkeit, fest. Wie auch Justitia eine Wage in der Hand trägt, muss auch der Richter abwägen: Was spricht, ausgenommen von der Straftat, für und gegen den Angeklagten.

    Dass dieser Vorgang nicht ins Rechtsempfinden von Einzelnen passt, mag sein, sagt Kriwanek. Das dürfe die Justiz aber nicht beeinflussen. Hier müsse der Gesetzgeber entscheiden. Auch die Behauptungen, wie ... aber für Steuerhinterziehung muss man zehn Jahre in den Knast... sind laut Kriwanek problematisch. Nachdem bei jedem Urteil eine Abwägung erfolgen muss, kann man unmöglich pauschal sagen: Für dieses oder jenes Vergehen muss man diese oder jene Strafe erwarten. Der Richter muss bei jedem Einzelfall gesondert entscheiden.

    Um sich ein ausgewogenes Urteil bilden zu können, könne man eben nicht nur einzelne Punkte herausgreifen. Das sagt er auch den Menschen, die ihn an jenem Montag fragen, wie Strafzumessung funktioniert. Und obwohl der Pressesprecher auch hier scharfe Kritik an der Rechtsprechung ertragen muss, ist er froh über das öffentliche Interesse an der Justiz. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir Prozessbesucher und Prozessbeobachter haben. Rechtsprechung darf nicht im rechtsfreien Raum stattfinden.

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