Ein heißes Eisen wurde beim deutsch-tschechischen Historikertreffen im Kaufbeurer Jakob-Brucker-Gymnasium angefasst. Das Thema Vertreibung, allerdings aus tschechischer Sicht. Jahrzehntelang hatte die politische Spitze des Nachbarlandes dieses Thema nicht zur Kenntnis genommen. Um so überraschender waren die klaren Worte der Reichenberger Historikerin Dr. Katerina Louzoviuková, die die Vertreibung der Sudetendeutschen aus dem Raum Gablonz an der Neiße und Reichenberg seit Jahren erforscht. Nach 1945 sei die Vertreibung mit großer Brutalität vollzogen worden, die man nicht entschuldigen könne.
"Prinzip Kollektivschuld"
"Es galt das Prinzip der Kollektivschuld der Deutschen, das sogar auf Kinder ausgeweitet wurde. Man machte auch oft keinen Unterschied, ob jemand Faschist oder Antifaschist war", so die Wissenschaftlerin der Uni Reichenberg. "Der tschechische Staat hat diesen Hass damals aus politischen Gründen unterstützt", ist sie sich sicher. Keineswegs war die so genannte "wilde Vertreibung" direkt nach Kriegsende "eine Aktion von ein paar Verrückten", wie oft gesagt werde. Armee und Polizei waren involviert. Man habe - auch dem Ausland - zeigen wollen, dass ein Zusammenleben zwischen Deutschen und Tschechen nicht mehr möglich war. "Ziel war ein ethnisch homogener Staat Tschechoslowakei", so Louzoviuková. Später wurde - während der Zeit des Kommunismus - alles totgeschwiegen.
"Die Doktrin lautete dann: In der DDR leben die guten Deutschen, in der BRD leben die Nazis." Die Reichenbergerin erfuhr erst mit zwölf Jahren, dass das heutige Liberec einmal eine deutsche Stadt gewesen ist. In den vergangenen Jahren gebe es aber zunehmend eine tschechische Diskussion um Gräueltaten während der Vertreibung. So wurde im Staatsfernsehen des Nachbarlandes ein Film über das Massaker von Postelberg gezeigt, bei dem Hunderte von Sudetendeutschen getötet wurden. Louzoviukovás Kollege Dr. Milan Svoboda (ebenfalls Uni Reichenberg) betonte, dass es unter den älteren Menschen im Raum Gablonz und Reichenberg immer noch Ressentiments gegenüber den Deutschen gebe. Bei der jüngeren Generation (wie er oder Louzoviuková) sei das anders. "Sie wissen, dass sich die Deutschen geändert haben", meinte er gegenüber der AZ. Man sei an einer guten Nachbarschaft interessiert.
Das Historikertreffen im Gymnasium war das erste seiner Art und entstand als Folge der neu entstandenen Städtepartnerschaft zwischen Kaufbeuren und Gablonz an der Neiße. Initiiert worden war es durch den Direktor des Brucker-Gymnasiums, Werner Altmann, und Kaufbeurens Stadtarchivar Dr. Stefan Fischer, der in einem Vortrag anschaulich darlegte, dass die Wurzeln für den Konflikt zwischen Tschechen und Sudetendeutschen bereits in der Nationalismusbewegung des 19. Jahrhunderts zu finden sind. Der Kaufbeurer Geschichtslehrer Peter Wonka, der aus einer Familie von Heimatvertriebenen stammt, verwies darauf, wie lange auf deutscher Seite - auch in Kaufbeuren - Abneigungen gegen Annäherungen an die Tschechen bestanden. Auch Schüler aus Gablonz an der Neiße und Kaufbeuren hielten Kurzreferate.
Martin Valdés-Stauber sprach über den tschechischen Pädagogen Comenius, Felicitas Weileder über Maria Espermüller, und Stephan Stegmayer hielt ein Referat über Tschechien und den Vertrag von Lissabon. Zudem besichtigten die Gäste Neugablonz und das Kloster Irsee. Direktor Altmann hofft, dass die Historikertagung bald Fortsetzung findet, möglicherweise dann in Gablonz an der Neiße.