Verhandlung: Mehrfache Ladendiebin "Oma Ingrid" aus Bad Wörishofen soll länger ins Gefängnis

16. Oktober 2018 11:16 Uhr von Alf Geiger
'Oma Ingrid' soll noch länger ins Gefängnis.
"Oma Ingrid" soll noch länger ins Gefängnis.
Alf Geiger

Das Verfahren gegen die mehrfach wegen Ladendiebstahls verurteilte Ingrid Millgramm (85) aus Bad Wörishofen geht in eine neue Runde: Jetzt muss sich das Landgericht Memmingen mit dem Fall der als „Oma Ingrid, die vor Hunger klaute“ bundesweit bekannt gewordenen 85-Jährigen beschäftigen. Weder die Staatsanwaltschaft Memmingen noch der Rechtsanwalt der inzwischen 85-Jährigen wollten das Urteil von Amtsrichterin Katharina Erdt vom Amtsgericht Memmingen akzeptieren – freilich mit völlig gegensätzlichen Erwartungen. Während der Rechtsanwalt von Ingrid Millgramm mit der Berufung gegen das Urteil zumindest eine mildere Strafe oder sogar einen Freispruch erreichen will, setzt die Staatsanwaltschaft Memmingen ganz andere Vorgaben: „Das Strafmaß wird dem Unrechtsgehalt der Tat und der Persönlichkeit der Angeklagten nicht gerecht“, heißt es in der Begründung der Staatsanwaltschaft Memmingen für ihren Berufungsantrag. Im Klartext: Die mit diesem Fall befasste Staatsanwältin will sogar erreichen, dass die 85-jährige Ladendiebin noch länger ins Gefängnis muss, als das Urteil bislang hergibt. Anfang August war Ingrid Millgramm vom Amtsgericht zu einer weiteren Gefängnisstrafe von vier Monaten verurteilt worden, diesmal sogar ohne Bewährung. Staatsanwältin Saskia Roßkopf hatte damals eine Haftstrafe von zehn Monaten zusätzlich zu den noch offenen sieben Monaten Bewährungsstrafen gefordert. Am Ende beließ es Amtsrichterin Katharina Erdt dann bei einer Haftstrafe von vier Monaten, was angesichts der Forderung der Staatsanwältin durchaus als „mildes Urteil“ von Prozessbeobachtern gewertet wurde. "Oma Ingrid" droht eine lange Haftstrafe Da sie aus drei vorherigen Verurteilungen zu Gefängnisstrafen noch unter Bewährung stand, droht der Rentnerin jetzt schon eine lange Haftstrafe: Aus den alten Urteilen sind noch sieben Monate Haft offen, zusammen mit der neuen Verurteilung droht Ingrid Millgramm jetzt eine Gesamtstrafe von elf Monaten in der Justizvollzugsanstalt. Für Kopfschütteln und Unverständnis hatte der jüngste Prozess nicht nur bei der Justiz gesorgt – auch viele MZ-Leser nahmen großen Anteil an diesem Verfahren. Kaum eine Berichterstattung hat für so kontroverse Diskussionen unter unseren Lesern gesorgt: Während die einen ein mildes Urteil und eine Therapie für die betagte Rentnerin forderten, hatten andere keinerlei Verständnis für die Wiederholungstäterin und wünschten sich die ganze Härte des Gesetzes für die Ladendiebin. Vor allem weil Ingrid Millgramm im vergangenen Herbst wegen ihrer Ladendiebstähle schon 55 Tage in einer Doppelzelle der Memminger Justizvollzugsanstalt gesessen hatte: in insgesamt sechs Fällen war sie wegen Ladendiebstahls zu mehreren Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt worden war. Kurz vor Weihnachten 2017 kam sie vorzeitig aus der Haft frei. Das Ende einer langen Geschichte? Ingrid Millgramm versicherte damals: „Ich werde nie wieder etwas stehlen. Die Zeit im Gefängnis war das Schlimmste, was mir je passiert ist.“ Gut vier Monate später wurde die 85-jährige Bad Wörishoferin erneut beim Stehlen erwischt. Diesmal hatte sie Kosmetikartikel, Sahnesteif und Haarklammern im Gesamtwert von 17,63 Euro gestohlen und war von einem Ladendetektiv beobachtet worden. Vor dem Amtsgericht in Memmingen hatte sie zunächst alle ihr vorgeworfenen Diebstähle geleugnet. In einer Prozesspause redeten ihr ihre beiden Rechtsanwälte offenbar eindringlich ins Gewissen - und plötzlich räumte die Rentnerin ein, doch gestohlen zu haben. Aber eben nicht alles, was der Ladendetektiv und die Polizei bei ihr gefunden hatten. Einen Teil der Waren habe sie lediglich umtauschen wollen. Für Amtsrichterin Katharina Erdt bestand damals am Ende der gut zweieinhalbstündigen Verhandlung jedenfalls kein Zweifel mehr, dass die 85-Jährige auch diesen Ladendiebstahl begangen hatte. Ein Gutachter konnte auch keine Krankheit bei ihr feststellen, die ihr Verhalten erklärt. Millgramm sei zu schnell rückfällig geworden Aus Sicht des Gerichts kam nur eine Haftstrafe infrage - zu schnell sei Millgramm rückfällig geworden. Dennoch blieb die Richterin deutlich unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die eine Haftstrafe von zehn Monaten gefordert hatte. Dass die Angeklagte aus Hunger oder bitterer Armut gestohlen habe, wollte ihr die Richterin nicht glauben: „Es spricht so viel gegen Sie ...“ Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, das Berufungsverfahren ist seit Anfang Oktober beim Landgericht Memmingen anhängig. Über den weiteren Fortgang wird der zuständige Vorsitzende Richter der Strafkammer prozessleitend zu verfügen haben, teilte der Pressesprecher des Landgerichts, Florian Förschner, auf Anfrage der Mindelheimer Zeitung mit. Ob in der Berufungsinstanz weitere medizinische Gutachten eingeholt werden, könne er derzeit noch nicht sagen. Der Ausgang des Verfahrens sei offen. Die Berufungskammer habe den Sachverhalt sowohl im Hinblick auf den Schuldspruch (also grundsätzlich auch ein Freispruch möglich) als auch im Falle der Verurteilung im Hinblick auf die Strafe völlig neu zu beurteilen, so Förschner. Damit sei sowohl eine niedrigere wie auch eine höhere Strafe möglich: „Eine Entscheidung wird im Rahmen einer öffentlichen Hauptverhandlung zu treffen sein“, sagte der Sprecher weiter. Grundsätzlich sei in solchen Fällen zu sagen, dass bei einer Verurteilung wegen Diebstahls das Gesetz einen Strafrahmen von Geldstrafe bis zur Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vorsieht, erläuterte der Pressesprecher des Landgerichts. Förschner: „Innerhalb dieses Rahmens hat das Gericht im Zuge der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände, die im Rahmen der Strafzumessung eine Rolle spielen, auf eine der Tat und der Schuld des Täters im Einzelfall angemessene Strafe zu erkennen“.