Der Grünten. Kaum ein anderer Berg prägt die Landschaft des Oberallgäus so markant wie der Gipfel mit dem Fernsehturm. Er strahlt Beständigkeit aus. Als ob ihn nichts erschüttern könnte. Aber er ist durchlöchert. Jahrhundertelang haben hier Bergarbeiter, sogenannte Knappen, Eisenerz abgebaut.
Um an diesen wertvollen Rohstoff zu kommen, haben die Ur-Allgäuer bis zu 200 Meter tief in den Berg hineingegraben. Von diesen Gruben sind 14 bekannt. Mindestens zehn weitere könnten sich im Innern des Grünten verbergen. Daran erkennt man den Stellenwert, den das Erz hier im Allgäu hatte. Es war jahrhundertelang Lebensgrundlage für durchschnittlich 700 Menschen in der Region. Sie bauten das Erz ab, verkauften das weiterverarbeitete, gehüttete Eisen an die Schmieden und Werkzeughersteller.
Einer, der sich sowohl auf dem Grünten, als auch im Inneren des Berges auskennt wie kein anderer, ist der Vorstand des Erzgruben Burgberg e.V. und Bürgermeister der Gemeinde Dieter Fischer. 2006 markierte für ihn einen wichtigen Meilenstein in der Geschichte der kleinen Gemeinde im Oberallgäu. Das Museumsdorf der Erlebniswelt am Grünten und drei der Gruben öffneten sich für Besucher.
Davor hat ein Team, hauptsächlich aus Ehrenamtlichen, den Berg und die erhaltenen Öffnungen erforscht und dokumentiert. Für Fischer hat die Erzgruben Erlebniswelt zwei Vorteile. "Einmal ist es ein zeitgeschichtliches, wichtiges Dokument für die Gemeinde Burgberg. Wir haben da sehr viel von unserer eigenen Dorf-Geschichte ans Tageslicht gebracht, das bei weiterem Warten total verloren gegangen wäre. Durch Erosion und Bewegungen im Innern des Berges hätten Gesteinsplatten vielleicht die Eingänge verschüttet." Außerdem sei der touristische Gedanke, die Gemeinde Burgberg attraktiv zu machen und zu vermarkten, durchaus gelungen.
Der Erfolg gibt ihm Recht: 22.000 bis 24.000 Besucher kommen jährlich in die Erzgruben Erlebniswelt am Grünten. Vor allem für Familien mit Kindern ab dem Vorschulalter sind die Erzgruben ein dankbares Ausflugsziel, besonders bei schlechtem Wetter. "Wir bekommen sehr viel positive Resonanz, weil unsere Grubis (die Grubenführer) die Leute wirklich mitnehmen und abholen. Eltern können sich sicher sein, dass die Kinder hier etwas über die Landschaft, die Geschichte und über die Lebensweise der Menschen damals lernen", so Fischer.
Von wegen gute, alte Zeit Die Lebenserwartung der Grubenarbeiter lag vom Mittelalter bis zum Ende des Erzabbaus im 19. Jahrhundert maximal bei 30 bis 35 Jahren. Schuld waren die harten Lebensumstände. "Da gab es keinen geregelten Acht-Stunden-Arbeitstag. Da hat jeder Knappe bis zum Umfallen geschuftet und das Eisenerz abgebaut. In den Gruben ist es bei zehn bis 12 Grad ziemlich kühl und dazu noch sehr feucht. Da gab es noch keine Hightech-Goretex-Kleidung, wie wir sie heute haben", erzählt Fischer
Der Anfang des Bergbaus im Allgäu
Im Jahr 1471 gibt es die erste schriftliche Erwähnung der Erzgruben am Grünten in einem Brief. In einer Korrespondenz stritten sich die Fürstbischöfe von Augsburg, die Inhaber des Bergrechts am Grünten, mit den Grafen Montfort um das Recht des Erzabbaus. Experten gehen aber davon aus, dass bereits im frühen 13. Jahrhundert der Abbau des wertvollen Rohstoffs begann.
Es folgten Jahrhunderte, in denen die Knappen das Eisenerz gewannen. Bis ins Jahr 1859. Sechs Jahre zuvor hatten Arbeiter die erste Bahnlinie ins Allgäu fertiggestellt. Und die Eisenbahn brachte billigeres und qualitativ besseres Eisenerz in die Region. Harte Zeiten begannen, in denen die Menschen um den Grünten mehr und mehr erkennen mussten, dass das wenige Eisenerz, das sie noch verkaufen konnten, zu wenig zum Leben war. Von 1.000 Burgbergen entschloss sich schließlich etwa ein Drittel auszuwandern. Nach Amerika oder auch ins Ruhrgebiet oder Saarland, eben dorthin, wo die Menschen vom Bergbau noch leben konnten.
Was aus dieser Zeit bleibt, sind zum Einen die Gruben, die weitläufig in den Berg reichen. Sie erzählen mit den verwinkelten und zerklüfteten Gemäuer viel von der harten Arbeit, die die Knappen hatten. Ohne jegliche Sicherung bauten die Bergleute hier in der kalten, nassen und dunklen Grube das Eisenerz mit viel Kraftaufwand ab. Zum Zweiten gibt es überlieferte Sagen und Mythen, die sich um die Gruben und den Berg ranken.
"Jede Sage hat seinen wahren Kern"
Die Sage von den "Venediger Männle" und dem "Goldbrünnle" zum Beispiel. Im Mittelalter waren tatsächlich Rohstoffsucher aus der Gegend von Murano im Alpenraum unterwegs. Ihr Auftrag war Mangan und Kobalt für die Weiterverarbeitung des berühmten Murano-Glases zu finden. Diese Männer waren für die Ur-Allgäuer fremdartig gekleidet, mit ungewohnt dunklem Teint und oft kleinwüchsig.
Wilde Spekulationen gab es um diese "Venediger Männle", weil sie mit einer Lupe das Gestein untersuchten. Die unwissenden Allgäuer hielten diese Lupen für einen Spiegel, mit dem diese Männle in den Berg hineinschauen konnten. Schließlich entstand daraus die Sage vom "Goldbrünnle": Ein Mal im Jahr sollen diese "Venediger Männle" in einer Felsspalte am Grünten verschwunden und mit Gold gefüllten Krügen zurückgekehrt sein. Goldvorkommen im Allgäu-Wächter kann Dieter Fischer nicht bestätigen, aber er lässt mit einem Augenzwinkern am Schluss der Führung alles offen: "Was meinen's warum ich so oft in den Gruben drin bin?"