Waltenhofen-Niedersonthofen Nicht wie die Jungfrau zum Kind, vielleicht aber wie der Fisch in den Kescher, so kam Viktoria Raith dazu, sich als Wirtin beim Tollwood-Festival in München zu versuchen. Sie hat sich diesen Job selbst geangelt, wohl wissend, dass sie dafür ein Händchen haben könnte. Zehn Jahre ist das her. Heute zählt die Wirtin vom Andechser Zelt mit ihrer 30-köpfigen Crew zum festen Inventar dieses Kulturfestivals. Drei Wochen lang hatte die Niedersont-hofenerin heuer Tollwood-Halli-Galli mit 85 Konzerten im Zelt. Nun sind endlich auch die Abbauarbeiten abgeschlossen und Viktoria Raith freut sich auf einige ruhige Spätsommerwochen im Allgäu. Bis in die späte Nacht hinein herrscht im Andechser Zelt von Mitte Juni bis Mitte Juli Trubel. 'Du hast natürlich ein ständiges Schlafdefizit, aber weil wir eine tolle Truppe sind und viel Spaß haben, lassen sich die dreieinhalb Wochen gut wegstecken', versichert die zierliche Zeltwirtin, die sonst als Übersetzerin arbeitet und Orchester-Tourneen organisiert. Von Beginn an, also seit 1995, ist die Kernmannschaft dieselbe geblieben, darunter sind viele Allgäuer, aber auch Münchener. Viktoria Raith ist eine Grenzgängerin, pendelt vom Oberallgäu nach Oberbayern. München ist ihr zweites Domizil. Dort arbeitete sie als Tollwood-Pressesprecherin, bevor sie sich entschloss umzusatteln - zur Festwirtin. Angst vor Neuem hatte sie nicht, dieses Gefühl kennt die jugendlich wirkende 52-Jährige offensichtlich gar nicht. Sonst wäre sie nicht mit dem Motorrad durch die Sahara, mit dem Zelt nach Kirgisien oder für ein halbes Jahr mit einer Freundin auf Spurensuche in die Mongolei gegangen. Also, warum nicht auch einmal in München Festwirtin spielen?
Aussteigen aus dem Alltagstrott Aus dem einen Mal sind viele Male geworden: 'Es ist so, als wenn man sich einmal im Jahr auf eine Insel begibt. Da gibt es dann nur noch Tollwood.' Aussteigen aus dem Alltagstrott für ein paar Wochen. Zusammensein mit Freunden, die alle am gleichen Strang ziehen mit dem Ziel, ein angenehmes Ambiente zu schaffen im Andechser Zelt. 'Mitte Juni kommt eine Baufirma, die stellt das Zirkuszelt auf und dann sind wir gefragt.' Nach den Plänen der Chefin wird der Innenausbau geschaffen: Pyramidenförmige Aufbauten, wo die Leute sich hinlümmeln können, Amphitheater, Bühnendekorationen und sogar Kunstobjekte, viele aus Holz. 'Die sind von meinem Mann Patrick, der bildender Künstler und auch Artist ist.' 1994 haben sich die beiden auf dem Festival-Gelände kennen gelernt - Patrick Brennan, der Australier und damals Artist beim Zirkus Oz, und die Allgäuerin Viktoria Raith, in Ottobeuren aufgewachsen und damals Tourneeleiterin für russische Orchester und Tollwood-Pressesprecherin. Beide sind kreative Köpfe, die sich seitdem offensichtlich gut ergänzen. So wurde im Andechser Zelt auch schon ein Hochsitz vor einer gemalten Gebirgskulisse geschaffen. 'Ich habe es gerne hart am Kitsch.' Die Planungen, sagt Viktoria Raith, beginnen immer ein halbes Jahr vorher. Dann gehe es auch darum, die Bands zu engagieren. Im Andechser Zelt spielt die Musik kostenlos, das bedeutet für die Bands magere Gagen. 'Trotzdem besteht großes Interesse, bei uns aufzutreten. Wir sind offensichtlich ein gutes Forum.' Bis zu 500 Bewerbungen um Auftritte flattern der Wirtin Jahr für Jahr ins Zelt. 'Wir bringen Bewährtes und immer wieder Neues.' Dabei freut es die Wirtin auf Zeit, dass sie im Zelt eine Art Clubatmosphäre geschaffen hat, und zwar so, wie sie es sich als Jugendliche immer erträumt hat: 'Es kann jeder rein kommen, egal ob jung ob alt, wurscht wie gekleidet, alle Leute trauen sich zu uns.' Ob Fischer-Stiefel am Fuß oder - wie es Viktoria Raith liebt - mit zierlichen Stöckelschuhen.