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Über ehemalige Schmugglerpfade durch die Allgäuer Hochalpen

Oberstdorf

Über ehemalige Schmugglerpfade durch die Allgäuer Hochalpen

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    Über ehemalige Schmugglerpfade durch die Allgäuer Hochalpen
    Über ehemalige Schmugglerpfade durch die Allgäuer Hochalpen Foto: Lorenz-Munkler

    Dieser Zipfel ist der Gipfel. Der südlichste Gipfel der Republik noch dazu. Ein belangloser Grasbuckel mit dem noch belangloseren Namen Haldenwanger Eck (1931 m). Der mächtige 'Biberkopf' (2445 m) 110 Meter weiter im Norden hätte diesen Superlativ verdient. Doch eine schlichte graue Steinsäule lässt keinen Zweifel zu: Exakt hier dringt Deutschland mit einem zipfelförmigen Auswuchs am weitesten in österreichisches Hoheitsgebiet vor. Deshalb ist Oberstdorf auch Zipfelgemeinde. Zipfelglück statt Gipfelglück also zu Beginn einer Wanderung entlang des rassigsten Grenzverlaufs der Republik. Das 'Haldenwanger Eck' führt ein einsames Dasein. Selbst Alpmeister Fritz Berktold von der nur zehn Minuten entfernten Jungvieh-Alpe war nur einmal oben. Im August 2003, 'als der Stoiber da war', erinnert er sich. Von hier aus schlängelt sich die deutsch-österreichische Grenze Richtung Ost/Nord-Ost, schleicht an den Bergen entlang, um diese herum und überschreitet deren Gipfel. Atemberaubend schön ist der Blick auf diesen einzigartigen Grenzverlauf, mit Bergen wie dem Biberkopf (2599 m), der Mädelegabel (2645 m) und der Trettach (2595 m). Hier oben zeigt sich die wilde Pracht der Allgäuer Gebirgslandschaft, geprägt von Bergen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Schroffe Felsdome, liebliche Blumenberge und extrem steile Grasflanken, für die das Allgäu so berühmt ist. Schon vor mehr als hundert Jahren haben Visionäre des Alpenvereins und heimische Bergführer entlang dieser Grenze ein gut ausgebautes Netz von Höhenwegen und Schutzhütten für Wanderer gebaut. In sechs Tagen können Bergsteiger heute den gesamten Allgäuer Hauptkamm durchwandern, ohne ein einziges Mal ins Tal abzusteigen. Dabei überschreiten sie Dutzende Male die Grenze. Verlassene Zollhäuschen, alte Grenzschilder und Marterl erinnern daran, dass das noch vor wenigen Jahren nicht so einfach war. Biker quälen sich über den Pass Der Grenzlinie zieht sich gen Osten über den Schrofenpass, wo eine Handvoll Mountainbiker neben ihren Rädern im Gras hocken. Wie Tausende andere 'Transalp-Fahrer' haben sie sich auf ihrem Weg zum Gardasee über diese Passhöhe gequält, ihre Räder auf den Schultern. Erschöpft genießen sie jetzt die mitgebrachte Brotzeit. Auf historischem Boden! Hier auf dem wichtigsten Übergang zwischen dem Lechtal und dem Allgäu pausierten schon Generationen von Wilderern und Schmugglern. Vielleicht auch der Wilderer Moosbrugger, bevor er 'von einem bayerischen Revierjäger durch einen Schuss getroffen, 1909 verblutete'. Ein zernagter alter Bildstock nur wenige Meter unterhalb der Passhöhe erinnert an dieses grausame Drama. Tabak für Stiersprung Die Landesgrenze zieht hinüber zum Salzbücheljoch (1781m) und führt auf den Höhenweg zur 'Oberen Biberalpe', auf der der Heimatkundler Eugen Thomma (77) aus Oberstdorf als junger Bursch das Vieh der Talbauern hütete. Auch hier wilderten und schmuggelten die Bauern einst, was das Zeug hielt, erzählt er. Nicht nur beim Warenverkehr umgingen Österreicher wie Deutsche die strengen Zollbestimmungen, auch beim 'Verkehr' anderer Art. So brachten die Tiroler Bergbauern heimlich Thommas Stier 'Siegfried' auf die Alpe, statt ins heimatliche Tal, um Zeit und Geld zu sparen. Für einen Stiersprung verlangte Thomma zehn Päckchen Tabak. 'I glaub, mei Siegfried hot sich scho gefreit, dass i a starker Raucher war', grinst der Ruheständler. Faszination des Augenblicks Die Grenzlinie lässt den Kleinen Rappenkopf (2276 m) rechts liegen und schlängelt sich zur Rappenseehütte (2091 m) hoch, wo soeben die Sonne hinter einem der schönsten Bergseen des Allgäus versinkt. Man muss kein Romantiker sein, um die Faszination dieses Augenblicks zu spüren. Des Wanderers Nachtlied schwingt in der Luft. Und während über allen Gipfeln Ruhe ist, herrscht auf der Terrasse der Bergsteigerunterkunft fröhliche Heiterkeit bis Hüttenwirt Andi Greiner Nachtruhe anordnet. Rund 300 Wanderer schlüpfen brav in ihre Hüttenschlafsäcke unter die grauen Filzdecken des größten DAV-Stützpunktes der Allgäuer Alpen. Viele träumen vom Heilbronner Weg, den sie am nächsten Tag begehen wollen. Der gut versicherte, hochalpine Höhenweg ist mit 10 000 Wanderern im Jahr der beliebteste seiner Art in den Nordalpen. Viermal über die Grenze Mindestens viermal werden sie auf diesem Klettersteig Deutschland verlassen. Was heute selbstverständlich ist, war noch vor rund 60 Jahren ein 'Staatsakt'. Auf der Rappenseehütte waren bis Ende der 30er Jahre sogar Zollbeamte stationiert, denn: Ohne Visum durfte keiner auf den Steig. Und keiner durfte mehr als zehn Reichsmark dabei haben. So wurden auf den Alpenvereinshütten Gelddepots eingerichtet. Gegen eine Quittung bekam man auf der Kemptner Hütte die Summe wieder, die man auf der Rappenseehütte hinterlassen hatte. Heute bringen die 'Grenzgänger' wieder Bargeld statt einer Quittung mit auf die Kemptner Hütte (1844 m). Was die Hüttenwirte Gabi und Martin Braxmeier natürlich freut, den Braxmeier-Kindern Moritz und Sina aber ziemlich egal ist. Angespannt beobachten die beiden in der wärmenden Morgensonne die putzigen 'Murmele' vor der Hütte, die manch einen Älpler auf die Palme bringen. Am liebsten würden diese die putzigen Nager abschießen, wie es die österreichischen Nachbarn dürfen, sie aber nicht. Denn Murmeltierhöhlen sind gefährliche Fußfallen für das Jungvieh. Braten-Rezept streng geheim Gabi Braxmeier beginnt schon morgens ihr Tagwerk in der Küche. Denn sowohl die Weitwanderer aus Oberstdorf auf ihrer ersten E5- Etappe (von Oberstdorf nach Meran), als auch die 'Bezwinger' des Heilbronner Wegs rücken unaufhaltsam an. Die Hüttenwirtin, die auch mal 290 Bergwanderer an einem Tag bekocht (im Schnitt sind es im August 140 bis 170 Leute täglich), legt größten Wert auf eine gepflegte Gastronomie. Ihr Rinderbraten ist exzellent und ein streng gehütetes Familienrezept. Nach einer unruhigen Nacht im Hüttenlager macht der Blick aus dem Fenster der Kemptner Hütte an diesem Morgen wenig Lust auf mehr. Schon eher auf Meer. Dickste Nebelsuppe, der Regen klopft leise gegen die Scheiben. Wasserdicht verpackt macht sich der Grenzgänger dennoch auf den Weg. Im Laufe des Tages will er Österreich endgültig den Rücken kehren und im Allgäu bleiben - in der wohl schönsten Ecke der Allgäuer Alpen. Zunächst ist die Landschaft noch trist. Grau ist die pflanzenarme Welt des Hauptdolomits aus vielen zertrümmerten Felsstücken und Geröll. Bei diesem Wetter geradezu trostlos. Wenig später, auf den letzten Metern des 'Grenzwegs', auf dem Grat zwischen Kreuzeck (2379 m) und Rauheck (2385m), bläst in das triste Grau auch noch ein kalter Sturm. Doch so schnell, wie er kam - legt sich der Sturm wieder. Der Himmel reißt auf und die Wolken geben den Blick frei auf eine Landschaft, die aus dem Märklin-Katalog zu stammen scheint. Nicht schroffe Felsen, Gras ist jetzt das beherrschende Element. Die viergipflige Höfats mit ihren 900 Meter hohen Grasflanken scheint jetzt zum Greifen nah. Schon im Alpenvereinsjahrbuch 1896 wurde dieser prächtige Berg erwähnt, in einem Atemzug mit 'Matterhorn' und den 'drei Zinnen'. Eine wunderbare Laune der Natur, schön und gefährlich. Kein anderer Berg in den Allgäuer Alpen forderte so viele Todesopfer. Hinauf zum Himmeleck-Sattel Auf seinen (Ab)Wegen ins Märklin-Land wandert der Grenzgänger schließlich hinauf in eine himmlische Region, zum Himmelecksattel (2007 m). Der gilt als einer der schönsten Aussichtspunkte in den gesamten Allgäuer Alpen. Hier muss man einfach pausieren, staunen und genießen. Hier spannt die Seele weit ihre Flügel aus. Der Panoramaweg zieht sich jetzt weiter hoch über dem Oytal in Richtung Nebelhorngipfel. Dutzendweise Wanderer voller himmlischer Sehnsucht kommen dem Grenzgänger entgegen. Denn die Nebelhornbahn ermöglicht die schnelle Himmelfahrt in wenigen Minuten. Noch einmal verliert sich sein Blick in diesem schier endlosen Meer aus 400 Gipfeln - und einem Zipfel.

    Die Zipfel-Gemeinden

    Seit 1999 gehört die Marktgemeinde Oberstdorf zu den vier '

    Zipfel-Gemeinden

    ' der Republik neben Selfkant (im Westen) Görlitz an der Neiße (im Osten) und Sylt (im Norden) . Im 'Zipfelpakt' verpflichten sich die vier Orte, den Austausch auf Verwaltungsebene ebenso zu pflegen, wie gemeinsame Aktivitäten zu organisieren – vor allem in den Bereichen Bildung Kultur und Sport. Im Jahr 2000, am Tag der Deutschen Einheit, wurde auch gleich ein Dokument kreiert, auf das die Republik lange warten musste: der 'Zipfelpass'. Wer alle vier deutschen Zipfel besucht und dies durch Rathausstempel dokumentieren kann, gewinnt ein 'Zipfelpaket' mit regionalen Spezialitäten. 'Zipfelpass'-Inhaber sind unter anderem Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Edmund Stoiber.

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